Bekenntnisse eines Bürgers

Sándor Márai, Bekenntnisse eines Bürgers. Erinnerungen, 1934, deutsch (Hans Skirecki) 1996, Tb. 4. Aufl. 2017, 420 Seiten. Teil meines Leseprojekts Umbruch. In der keine fünf Zeilen langen Vorbemerkung nennt der Autor sein Buch eine Romanbiographie und erklärt, die Personen seien erfunden. Trotz dieses Caveats ist der Text nicht als Autofiktion verfaßt, sondern als wahre Erzählung des Vorgefallenen. Freilich schreibt er aus einer männlichen, in mehrfacher Hinsicht privilegierten Perspektive, und manches Wort erhält heute den Stempel des Rassismus oder Sexismus.

Sándor Márai

Sándor Márai Von Hungarian National Gallery InfoPic, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6673185

Sein Leben ist exemplarisch für viele Mitteleuropäer im 20. Jahrhundert. Er lebte von 1900 bis 1989. In der k.u.k.-Monarchie geboren und aufgewachsen, lebte er nach 1919 mehrere Jahre im europäischen Ausland, bevor er 1926 nach Ungarn zurückkehrte. Als sich nach dem Krieg die Kommunisten durchsetzten, fiel er bald in Ungnade. 1948 verließ er mit seiner Familie das Land, lebte zunächst in der Schweiz im Exil und dann in Italien, bevor er von 1957-67 in die USA ging. Es schlossen sich wieder mehrere Jahre in Italien an (bis 1980), danach lebte er bis zu seinem Freitod 1989 in San Diego.

Der ungeheuer produktive Autor, der ab 1928 nur noch in ungarischer Sprache veröffentlichte, wurde einem breiteren Publikum in Deutschland erst wieder bekannt, als seine Romane ab Ende der 1990er Jahre neu, teilweise auch erstmals übersetzt wurden und bei Piper erschienen. Von ihm liegen auch Tagebücher und späte Erinnerungen vor.

Eine behütete Kindheit

Márai schrieb das Buch im Alter von 33 Jahren. Das ist früh für Erinnerungen, entspringt aber dem Bedürfnis, etwas festzuhalten und zu überliefern, das vergangen ist. Es handelt sich um eine romanhaft gestaltete Erzählung aus der Perspektive des Kindes mit dem Wissen des Erwachsenen, in der das unmittelbare Erleben eingebettet wird in Schilderung und Erläuterung der Zusammenhänge einer zum Zeitpunkt der Niederschrift bereits untergegangenen Welt, auf die freilich noch nicht der Schatten von erneutem Krieg und Holocaust gefallen ist.

Auf diese Weise vermittelt Márai kulturgeschichtliches Wissen, wirft Schlaglichter auf das Verhältnis von Metropole und Peripherie, die für das österreichisch-ungarische Imperium so wichtig war und läßt uns einen – freilich kuratierten – Blick in seine Kinderseele tun.

Der Hausmeister war ein ungarischer Heiduck, wie er im Buche stand, großspurig, mit spitz gezwirbeltem Schnurrbart. Er war Büttel im Komitatshaus gewesen, trug blank gewichste Rahmenstiefel und eine Montur mit Schnurverzierung, ein hoffärtiger, hochmütiger Mann, der um keinen Preis einen Besen in die Hand genommen hätte. Die Arbeiten im Haus verrichtete selbstredend seine Frau, sie verdiente das Geld für die beiden Söhne, die für mich liebe Kameraden waren, der eine studierte Maschinenbau und ging später zu den Matrosen, der andere besuchte eine höhere Schule, seine Mutter kleidete ihn nobel und erzog ihn zu einem echten Herrn. Die großspurige Lebensweise des Hausmeisters und seine tägliche Schnapsportion, die Lehrmittel und die vornehme Kleidung der beiden Jungen, das alles erarbeitete die alte Hausmeistersfrau mit ihren Händen, mit dem Torgeld, den Kehrichtgeld, mit Waschen und Plätten, den sie wusch, mangelte und plättete für das ganze Haus. Sie erzog die beiden Jungen mit Erfolg zu Herren, sie absolvierten ihre Schulen, und dann fielen sie beide im Krieg. Da begann auch die Hausmeisterin zu trinken, und das versoffene Ehepaar wurde vor die Tür gesetzt. (S. 50f.)

Die Familie

Sie ist groß und weitverzweigt, man besucht sich, geht sich auch manchmal aus dem Weg, aber ist eben zusammengeschweißt – im guten wie im schlechten Sinn:

Die meisten Ehen sind Mesalliancen. (S. 67)

Die Wiener Verwandten machten den lieben langen Tag Musik. Die sechs Töchter spielten abwechselnd Geige und Klavier, auch Cello und Klarinette. Die knappe Zeit, die ihnen neben dem Musizieren blieb, füllten sie mit Tanzen aus. Das niedrige Haus in Hietzing widerhallte von der Musik, vom Geschrei und Gesang der Mädchen. Das Haus war am Verfallen, sie lebten zu zehnt in drei Zimmern, die sechs Mädchen, die Eltern, Franzl – der einzige Sohn, er fiel im Krieg – und Marie, die alte Dienstmagd, die schon vor dreißig Jahren alt war, über ihre schmerzenden Beine klagte und für die Familie kochte, unten im Keller, in der feuchten und dunklen Küche. Hinter dem Haus erstreckte sich lang und schmal ein Garten mit einem Reneklodenbaum darin, zwei alten Nussbäumen, an denen nur noch kümmerliche Nüsse gediehen, mit Himbeersträuchern und einem stark riechenden Holunderbaum in der hinteren Gartenecke. Unter die Nussbäume war ein Tisch mit Bänken drumherum gestellt, hier hauste die vielköpfige Familie vom Frühling bis in den späten Herbst hinein. (S. 93f.)

Den Pester Onkel besuchten wir jedes Jahr; auch er pflegte mit Bedacht den familiären Zusammenhalt, freilich auf seine besondere Weise: Er wußte über alle Verwandten genau Bescheid, mied aber möglichst den Umgang mit ihnen. (S. 103)

Plötzlich reißt der Junge aus, wird natürlich wieder eingefangen und dann in ein Internat gesteckt. Die unheilvolle Kombination aus autoritärer, nicht an Menschenbildung interessierter Schule und fehlender Familie plus sadistischer Kameraden wird sprechend genug angedeutet.

Auf S. 198 erreicht die Nachricht von der Ermordung des Thronfolgers die Familie und ihre gesellschaftlichen Kreise während der Sommerfrische. Ratlosigkeit der Erwachsenen beschließt den ersten Teil des Buches. Die Welt von Gestern wird untergehen, ein in Art und Ausmaß noch unbekannter Umbruch stattfinden.

Nachkriegszeit in Deutschland

Der zweite Teil setzt 1923 ein, der Autor, inzwischen verheiratet, fährt mit seiner Frau von Deutschland nach Paris. Vorbereitet durch Literatur und Geschichtskenntnisse sowie Bewunderung, aber doch unsicher:

Ein wenig schlotterte die »westliche Kultur« an uns wie der Frack am Neger [sic]. (S. 205)

Sándor Márai: Bekenntnisse eines Europäers | Foto: nw2018 #Geschichte

Sándor Márai: Bekenntnisse eines Bürgers | Foto: nw2018

Márai überlegt, warum ihm die deutsche Kultur vertrauter ist als die europäische (sic!) und warum Fremdheit sich in Berlin anders anfühlt als in Paris. Rückblenden in die Leipziger Studienzeit ab 1919, die er überwiegend im Kaffeehaus verbringt, schwanken zwischen Skurrilität, Selbstironie und ethnographischen Studien.

Ich war erschreckend mager, hatte Ringe um die Augen, die Richterlocke fiel mir in die Stirn, und auf dem Bild drücke ich mit beiden Händen ein Buch an mein Herz. So trat ich im Herbst 1919 in Leipzig ins Leben der Metzer Fleischersfrau [seiner Zimmerwirtin, NW]. (S. 212) 

Vater hatte mir, als ich ins Ausland reiste, das Monatsgeld für drei Monate im voraus gegeben. Diese beträchtliche Summe gab ich schon in der ersten Woche aus; wie und wofür, weiß ich selbst nicht – ich glaube für englische Zigarren, Bücher und Kaffee. In den Kreationen der sächsischen Küche stocherte ich verdrießlich, während der ersten Wochen lebte ich wahrhaftig von Kaffee und einem trockenen Feingebäck namens Baumkuchen […]. (S. 215)

Leipzig steckte, bei aller engbrüstiger, apfelweinumnebelter, dünnbieriger Kleinbürgerlichkeit, voller Exotik. (S. 215)

Márai läßt den Zauber der Jugend lebendig werden, erinnert sich an damals neue Literatur und deren Wirkung auf ihn. Eine zentrale Rolle spielt hier Franz Kafka. Selbst schreibt er erfolglos Gedichte und inszeniert sich als ausländischer Dichter.

Doch das Wohlwollen weder des alten Brockhaus noch der lieben Bank konnte verhindern, daß mir von Zeit zu Zeit hoffnungslos das Geld ausging und ich in ähnlich trostloser Bedürftigkeit durch Leipzigs Straßen trottete wie Karl Mays verirrte und dürstende Helden durch die Wüste. Damals wußte ich noch nicht, daß meine Lebenstechnik völlig verfehlt war und das Kaffeehaus »langfristig« teurer war als die kostspieligsten Vergnügungen, die für mich erreichbar waren. (S. 223)

Márai hat erste Erfolge mit Artikeln; er wird ohne Ausbildung, aber kraft seines Beobachterdaseins zum Journalisten. Bei seinen Reisen durch Deutschland erlebt er immer wieder letzte Zuckungen der Revolution, Straßenkämpfe inklusive. Wie für Klemperer hat das Geschehen für Márai gelegentlich etwas Unernstes. München leuchtete nicht für ihn:

Die Stadt mit ihrer bierseligen Jovialität, ihrer provinziellen Gemütlichkeit,  ihrem schalen, erzwungenen und künstlichen Kunstverständnis deprimierte mich. (S. 237)

Was hingegen leuchtet, ist das Phänomen Goethe, diese eigenartige Mischung aus Werk, Leben und Nachleben:

Der Mensch hat ein materielles, aber er hat auch ein geistiges Schicksal, das sich mit fataler Selbstverständlichkeit erfüllt. Er begegnet Goethe, oder er begegnet ihm nicht; ich bin ihm zu meinem Glück früh begegnet. (S. 240)

Begegnungen mit Arbeitern haben in kultureller Hinsicht etwas Generöses und führen zur Erkenntnis, daß diese Klasse konservativ denkt und keine Revolution will (S. 264f.). Ein elitäres Selbstverständnis ist selbstverständlich:

[M]itunter ging ich nachmittags ins Romanische Café; ich setzte mich an den Tisch Elke Lasker-Schülers, wir tranken Tee und unterhalten uns stundenlang über Athen und Theben […[ (S. 312)

Zeitzeugenschaft

Ich hatte Angst. Rundum war etwas unsäglich Wichtiges und Wertvolles im Erlöschen begriffen. Ich fürchtete mich wie ein junges Tier vor einem Erdbeben. Damals hatte ich Spengler noch nicht gelesen, und ich sammelte keine »Theorien«. Alles war mir dringlich, ich wollte etwas noch im »ursprünglichen Zustand« sehen, bevor diese fürchterliche, unbestimmbare Veränderung eintreten würde. Ich ging auf Reisen. (S. 232)

Márai beschreibt an mehreren Stellen des Buches ein eigentümlich unspezifisches Dabeiseinwollen, von dem er erklärt, daß es sein Schreiben seit diesen Jugendtagen geprägt habe.

Die Stadt  [Berlin] befand sich in einer Phase, wo sie, bei aller Provinzialität, in guten Augenblicken und an manchen Ausdrucksflächen beinahe an eine Weltstadt erinnerte. Fremde machten sich in allen Winkeln und Ecken breit. Die Laboratorien füllten sich mit Russen und Norwegern, jedermann gründete etwas, und die Deutschen gaben Grundlagen für alle Gründungen, auch wenn der Ausländer selbst nicht an den Erfolg seiner Unternehmung glaubte. […] Eine Idylle war Berlin in diesen Jahren nicht. Doch die Stadt war in der Tat ein einziges Experimentierfeld, auf dem der Fremde nach Gutdünken in den deutschen Fabriken, den Theatern, den Filmateliers, Zeitungen und Büros stümpern konnte. Berlin ergab sich, kapitulierte nach dem verlorenen Krieg vor dem feindlichen Ausland. Im Schaufenster spreizte sich, nach Kokain und Schnaps riechend, die Welt der Schieber, doch hinter vollmundigem Genuß wuchern Stile und läuteten sich Anschauungen. (S. 267.)

Die Inflation stellt die gesellschaftlichen Verhältnisse auf den Kopf:

Ich wohnte bei einer Generalswitwe, bei Hausbesitzern, die in ihrem fünfstöckigen Palast hungerten, bei einem Arzt, der seine Achtzimmerwohnung selbst reinigte, bei einem preußischen Ministerpräsidenten, dessen Jahrespension nicht für zwei Pfund Brot ausreichte. […] Die Irrenhäuser füllten sich mit Verrückten. Die Großindustrie und die Banken bereicherten sich in diesen Monaten unvorstellbar. Zwischen Erde und Wasser schwebte Stinnes‘ Schatten. Die Mittelklasse wartete in aberwitziger Untätigkeit darauf, daß sich ihr Schicksal erfüllte und der übergeschnappte Karneval sie hinwegfegte. (S. 276f.)

Ohne Zweifel, auch ich habe diese »historischen Zeiten« erlebt; aber meine Erinnerungen umfassen nur einige Gesichter, aus dieser Zeit zeichnen sich heller nur die  Konturen eines Kartenspielers, eines Dichters und einer Ärztin, die Morphinistin war, ab … Anscheinend gibt es für jeden und jederzeit zwei Arten von Weltgeschichte; und ich erachtete die meinige für wichtiger als jene andere, deren Verhängnis Schatten über ich wirft. (S. 282)

Zwar sitzt das Erbe des Wilheminismus tief, doch Márai stellt fest, daß da mehr ist:

Das andere Deutschland, das von Goethe erzogene. Das andere, wo Thomas Manns „Buddenbrooks“ immerhin, ob es einem paßt oder nicht, in einer Million Exemplaren gekauft wurden, wo das Gesamtwerk dieses großen und edlen Schriftstellers, der sich mit seinem Schaffen und seiner Haltung in Frieden und Krieg zu Europa bekannte, rund dreißig Millionen Leser fand – das andere Deutschland, wo Tolstoi und Dostojevski von wenigstens so vielen gelesen wurden wie in Rußland, wo man sich mit einer kindlichen und pedantischen Andacht, aber ich eben doch  mit Andacht über jeden gedruckten Buchstaben beugte, wo Musik am perfektesten gespielt wurde und wo man sich in höchster Verantwortung des Gewissens in den chemischen Fabriken über Präparate und an den Operationstischen über leidende Menschen beugte – das andere, das andere! (S. 316)

Den beginnenden Faschismus in Italien kommentiert er trotz aller Distanz mit den Worten:

Man konnte einfach nicht übersehen, daß das, was in jenen Monaten in Italien geschah, einheitlicher Ausdruck des Willens eines Volkes war. (S. 333)

Während des zweiten Parisaufenthaltes wird er zum ruhelosen Beobachter:

In Eile aß ich, nachlässig wischte ich mir den Mund ab und hastete in Parlament, weil Caillaux sprach; als ob mich das etwas anginge … Aber ging es mich nicht wirklich etwas an? Ging mich, den Zeitgenossen, den Durchreisenden, nicht alles etwas an, was auf dieser Erde an  Phänomenalem und Banalem zu beobachten war? (S. 344)

Das Dôme und das Rotonde, diese beiden weltberühmten Cafés […] glichen in diesem Jahr einem zentralen Laboratorium; alles hier kochte und dampfte, Revolutionen und Charaktere, Politik und Leidenschaft; er diese schmutzigen Straßenecken mied, der wich einfach den Ereignissen aus. (S. 347)

 

Europa

Auf Seite 313 erfolgt die Wiederaufnahme der Reise nach Paris; Márai zieht die Bilanz eines wichtigen Lebensabschnitts. Es folgt ein Jahr in Paris, dann werden Mittelmeerstädte und London besucht, bevor sich Márai und seine Frau aufmachen und nach Ungarn zurückkehren.

Paris bietet schockierenden Schmutz, „kupferkäsige Franzosen“ und Langeweile. Die leeren Tage ohne jede Perspektive deutet er als Warten ohne zu wissen, worauf. Ihre Pariser Zeit endet mit einer Krise, nach deren Ende sie nach Florenz fahren. Dort erkrankt Lola an der Grippe und fährt zur Genesung nach Ungarn. Márai bleibt zurück im winterlich-unwirtlichen Florenz, dessen Zauber sich ihm erst im Frühling enthüllen wird. So fällt es ihm leichter, dem Schreckgespenst eines in Erstarrung zu führenden bürgerlichen Lebens auszuweichen (S. 331). Dann kehrt Lola zurück und sie fahren erneut nach Paris, wo sie nun in einem anderen Viertel wohnen und mit gehobeneren Kreisen in Kontakt kommen, die Márai in nichtstuender Geschäftigkeit genau beobachtet.

Alles deutete darauf hin, daß ich »verpariserte«. Schon war ich auch ungezogen, viel ungezogener als vorher, zu Hause und in Berlin. Ich begann, die europäische Art zu erlernen. (S. 342)

Während der sechs Jahre in Paris entdeckt Márai nicht nur die Stadt, die er sich allerdings nur schrittweise erschließt, sondern mit einem Auto, das die Familie bald ihr eigen nennt, auch das nähere und weitere Frankreich. Schiffsreisen führen ihn nach Damaskus und in andere Hafenstädte des Mittelmeers. Auch London, das er als völlig verschieden von Paris erlebt, besucht er häufig. Neugierig beobachtet er alles, hält Eindrücke fest und schreibt.

 

Emigration und Autorschaft

Schon in Leipzig, vor allem aber in Frankfurt und für die »Frankfurter Zeitung« schreibt er  ohne Schwierigkeiten Artikel in deutscher Sprache – erwähnt aber, daß er später ins Ungarische zurückkehren wird, er spricht von einer Flucht nach Hause in die Muttersprache (S. 226). Das Buch berührt damit ein Problem, das viele Emigranten und Exilschriftsteller haben und mit dem sie unterschiedlich umgehen: Norman Manea, Atiq Rahimi, Ha Jin.

In der protestantischen deutschen Umgebung fiel es mir nicht schwer, einsam zu bleiben. (S. 309)

Vaterland hatte ich nur eines, das Sprachgebiet, wo man Ungarisch redet. Ein Mensch, der an der Buchstaben gebunden ist, hat kein anderes Vaterland als die Muttersprache. (S. 379)

Er durchläuft eine körperliche und künstlerische Krise, die ihm neue Reflexions- und Erkenntnisräume eröffnet. Sein Künstlerdasein wird gestört durch die Liebe, weil sie den Verlust der Isolation bedeutet.

Am Ende des Buches „muß“ er nach Hause, zurück nach Ungarn; er weiß nicht, warum. Irgendwie ist es wohl Zeit. Er fährt allein.

[M]eine Generation, meine Altersgenossen waren aus dieser Milchhalle aufgebrochen, und ich hatte vergebens die Welt bereist, jetzt mußte ich von vorn beginnen. (S. 398)

Fazit

Ein glänzend geschriebenes, Dichtung und Wahrheit perfekt ausbalancierendes Buch, das das Schriftstellerdasein mal mehr, mal weniger direkt reflektiert. Márai nimmt uns mit auf eine Zeitreise, während der er der „Welt von gestern“ entwächst, in der „Umbruchszeit“ seinen Platz im Leben finden muß und dann das Herannahen einer unheilvollen Zukunft spürt. Klare Leseempfehlung!

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6 Antworten zu Bekenntnisse eines Bürgers

  1. de Chareli schreibt:

    Das klingt überaus verlockend, vielen Dank für die Rezension.

  2. @sphericon schreibt:

    Danke, dass du mir Márai durch diese dufte Rezension wieder in Erinnerung gebracht hast! Ich empfehle meinerseits gerne Sándor Márais „Die Schule der Armen – Ein Leitfaden für Menschen mit geringem Einkommen“. Mir gefällt seine scharfsinnig beobachtende deprimierte Ironie

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