Adas Raum

Sharon Dodua Otoo, Adas Raum, 2021 (ungekürzte Hörbuchfassung 2021)

Quelle: Verlag

Es geht um drei Frauen, drei Zeitalter und Länder sowie drei Gegenstände, die die Stationen begleiten.

So scheint es, denn später kommen unvermittelt eine weitere Frau, ein weiteres Zeitalter sowie ein Ort und ein Gegenstand dazu. Und Gott, Gott spielt auch eine bedeutende Rolle. Und überhaupt ist es immer die selbe Frau, und auch in allen Gegenständen steckt das selbe Wesen. Gott ist ohnehin vielgestaltig, lediglich ein Perlenarmband ist beständig.

Wir erfahren, was diese vier Frauen, die alle Ada heißen, erleben. Also nicht alles und nicht von jeder gleichviel. Erzählt wird von den Gegenständen, die sich als Ich-Erzähler gerieren, mitunter aber einschränken, daß sie nicht alles sehen oder hören was sich genau abspielt. Die Erzählerstimme des Gegenstandes, der immer wieder in die Zeit geworfen wird, bleibt rätselhaft. Es handelt sich um ein Objekt, dessen größte Sehnsucht darin besteht, geboren zu werden und einmal als Mensch – wobei offen bleibt, ob als sterbliche oder unsterbliche Person – eine Episode zu erleben. Dieses Objekt tauscht sich regelmäßig mit Gott aus, der entscheidet, wann und in welcher Gestalt Ada und der Gegenstand existieren.

Das Buch besitzt keine lineare Erzählstruktur, sondern mäandert in sogenannten Schleifen durch Raum und Zeit. Teil werden die Abschnitte erkennbar voneinander getrennt, mitunter fließen sie in einem Satz zusammen.

Ich war zuerst neugierig, dann enttäuscht, zum Schluß genervt. Das Buch steckt voller Klischees, segelt hart am postkolonialen Zeitgeist, gewürzt mit feministischen und antirassistischen Plattheitern. Wozu es eine NS-Episode hat, bleibt rätselhaft. Kraftvoll ist die Darstellung der Begegnung mit den portugiesischen Eroberern, doch bleibt sie mit dem Rest der Geschichte unverbunden und wird weder inhaltlich noch erzählerisch sinnvoll genutzt. 

Als Frau erscheint Ada seltsam auf Mutterschaft reduziert, wozu auch die fetischhafte Fixierung auf das Armband mit den Fruchtbarkeitsperlen hinweist.

Am Ende fließt alles zusammen, brachial von der Autorin herbeigewungen, grob zusammengerührt und ein letztes Mal ganz tief in die Klischeekiste greifend.

Nein, das war ganz sicher kein Buch für mich und ich kann es auch niemandem guten Gewissens empfehlen. Auf diese Entdeckungsreise begibt sich jeder auf eigenes Risiko.

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Caleb’s Crossing

Geraldine Brooks, Caleb’s Crossing, 2011

Neuengland in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts: Cynthia, die 14-jährige Tochter eines puritanischen Priesters erfährt die Beschränkungen, die Religion und Patriarchat ihr auferlegen. Sie erhält Bildung nur noch indirekt, nachdem sie als Neunjährige den Katechismus auswendig kann, was der Vater für ausreichend erachtet. Seither kann sie nur dem Unterricht lauschen, den ihr Bruder und andere Jungen vom Vater erhalten. Das entbehrungsreiche Leben dieser frühen Siedlergenerationen wird eindringlich geschildert.

Cynthia schafft sich – soweit dies für ein Mädchen überhaupt möglich ist – Freiräume und begegnet auf den hieraus resultierenden Spaziergängen einem gleichaltrigen Jungen aus dem Volk der Wampanoag. Die beiden bringen sich die Sprache des jeweils anderen bei und tauschen sich auch über ihre kulturellen Hintergründe aus. Der Junge, den Cynthia Caleb nennt, wird später von ihrem Vater unterrichtet und auf den Besuch des College vorbereitet.

Durch den Kontakt zu den Ureinwohnern beginnt sie, bisherige Glaubensgewißheiten zu hinterfragen, und spürt die Attraktivität des Animismus. Sie nimmt die Schattenseiten der eigenen Zivilisation wahr, die Ferne von der Natur. 

Die Lebensgeschichte Cynthias ist bewegt, voll Härte und Ungerechtigkeit gegen sie als Frau, aber schließlich auch erfüllt von Freundschaft und Liebe, gesegnet mit einem verständnisvollen Mann und einem starken Sohn. 

Die frühe Geschichte Harvards, die Versuche, Eingeborene zu bekehren und auszubilden, der Erfolg, der diesen Bemühungen beschieden ist, und die Tragik individueller Schicksale, vor allem von Frauen, – all das wird zu einem fesselnden Bericht, zu einer starken Mischung aus Resignation, Anklage und einem glaubensstarken Rückblick auf ein erfülltes Leben.

Das Ganze basiert auf der nur in Umrissen bekannten Lebensgeschichte von Caleb Cheeshahteaumauk – dem ersten Ureinwohner, der einen Abschluß am Harvard College machte – und spielt in Cambridge, MA, auf der Insel, die heute Martha’s Vineyard heißt und kurzzeitig auch in Boston und Italien.

In der von Jennifer Ehle gesprochenen Hörbuchversion wirkte der Roman auf mich sehr eindrücklich. Der deutsche Titel „Insel zweiter Welten“ ist stark auf die Insel fokussiert, obwohl ein großer Teil der Geschichte auf dem Festland spielt und die Begegnung dieser beiden Welten dort genauso problematisch ist. 

Nach meinem Eindruck steht die Erzählerin Cynthia stärker im Vordergrund als der junge Caleb, dessen „Übergang“ – Taufe und Bildungserwerb – ja am Ende scheitert und in seiner Sinnlosigkeit als Menetekel für potenzielle Nachahmer gesehen werden kann. Aber auch Cynthias Rebellion wird letztendlich eingehegt und bleibt gesamtgesellschaftlich betrachtet folgenlos. 

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Der andere Ort von Rachel Cusk

Rachel Cusk, Der andere Ort, 2021, dt. 2021 (aus dem Englischen von Eva Bonné), 205 Seiten.

„Was mich betrifft, so war ich mein Leben lang unbeliebt gewesen, selbst als kleines Kind.“ (S. 200)

Die Ich-Erzählerin beschreibt sich mit diesem Satz sehr treffend. Selten war mir eine Romanfigur von Beginn an und derart gründlich unsympathisch: eine furchtbare Frau! Dazu tragen ihre Charakterzüge bei, der Wille, alles zu analysieren und das ständige Reden. Denn sie spricht gleichsam ohne Luft zu holen.

„Immer wieder suchte ich das Gespräch mit Tony, ich verspürte das brennende Bedürfnis zu sprechen, zu analysieren und meine Gefühle aus mir heraus ins Freie zu stülpen, wo ich sie hätte sehen und von allen Seiten betrachten können.“ (S. 35)

Eine Frau, die nur als M bezeichnet wird, lebt mit ihrem Mann in einem einsamen Haus am Meer. In dem Gästehaus bringen sie auf Zeit immer wieder Fremde unter, endlich auch einen berühmten Maler namens L. Ihn zu beherbergen, war schon lange ein sehnlicher Wunsch von M. Doch als er endlich kommt, geht alles schief. Die Anwesenden, M, ihr Mann Tony, ihre Tochter und deren Freund sowie M und seine junge Begleiterin gehen sich gegenseitig gehörig auf die Nerven.

Schließlich gerät die Gesellschaft teilweise in Auflösung und Am Ende stirbt L.

M erzählt alles, was passiert und was sie sich vorstellt, einem Gegenüber namens Jeffers, ohne daß ersichtlich würde, wer diese Person ist und in welcher Beziehung sie zu den übrigen Personen steht.

Obwohl mir M gründlich unsympathisch war, gelang es ihr, mich mit ihrem Strom der Erzählung in den Bann zu schlagen. Das Buch ist fesselnd geschrieben, und ich konnte es kaum aus der Hand legen. Am Ende ist die Geschichte freilich dünn und es bleiben nur ein paar Aphorismen.

„Aber das Ich ist unser Gott, wir haben keinen anderen. (S. 179)

„Mütter sind so verlogen“, sagte er. „Die Sprache ist alles was sie haben. Wenn man es zulässt, füllen sie einen damit ab.“ (S. 119)

„Macht besteht zu großen Teilen aus der Fähigkeit zu erkennen, wie bereitwillig andere sie einem überlassen.“ (S. 94)

Alles in allem eine interessante Leseerfahrung, aber kein Buch, das mich angerührt oder auch nur überzeugt hätte.

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The Personal Librarian

Marie Benedict / Victoria Christopher Murray, The Personal Librarian, New York: Berkley 2021, 341 Seiten.

The Personal Librarian | Foto: nw2023

Das Buch erzählt die Lebensgeschichte von Belle da Costa Greene, der persönlichen Bibliothekarin von J. P. Morgan, dem New Yorker Multimillionär, der sie zum Auf- und Ausbau seiner Privatbibliothek einstellte.

Wir werden Zeuge der Entwicklung eines Arbeitsverhältnisses und der persönlichen Beziehung zwischen den beiden Protagonisten. Außerdem erfahren wir die Familiengeschichte von Belle und lernen all die Menschen kennen, denen sie auf professioneller und/oder privater Basis im Laufe ihrer Tätigkeit für die Bibliothek begegnet. 

Das Ganze wächst in ein gesellschaftsgeschichtliches und zeitgeschichtliches Panorama hinein. Erzählt wird die Geschichte der schwarzen Bürgerrechtsbewegung nach dem amerikanischen Bürgerkrieg und das erneute Aufflammen des Rassismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Dies ist deshalb wichtig, weil Belle, ihre Mutter und die Geschwister als Weiße leben, während der Vater, der an seinen Idealen aus der Bürgerrechtsbewegung festhält, sich entschieden hat, als Schwarzer zu leben. Obwohl Belle als „white passing“ gelesen wird, lebt sie unter der beständigen Angst, enttarnt zu werden.

Sometimes, when I look at Teddy, with her light hair, alabaster skin, and pale eyes, I wonder if she knows about the violent origins of our white skin.

S. 65

Ein Strang der Erzählung ist der Welt des frühen englischsprachigen Buchdrucks gewidmet, der das besondere Interesse von J.P. Morgan und „seiner“ Bibliothekarin gilt. Eng damit verknüpft ist die Szene der Kunsthändler und Auktionshäuser, in der sich die Protagonisten mit wachsender Sicherheit bewegt, obwohl – oder gerade weil – sie als Frau dort besonders auffällt. Dabei macht sie in London eine neue Erfahrung:

But I could not have guessed London’s greatest gift. Here, as I walk the streets, I don’t feel the same assessment of my color that I routinely experience, and constantly anticipate, in America. Perhaps London’s citizens don’t have the same need to categorize us by race as they do in America.

S. 121

Wichtig ist aber auch die Familiengeschichte der Greenes, die von einer Phase der Liberalisierung nach dem amerikanischen Bürgerkrieg profitiert hatten, aber dann besonders unter der zunehmenden John-Crow-Politik litten. Dies führte auch zur Trennung der Eltern, weil die Mutter in den 1890er Jahren auf Sicherheit und bessere Lebenschancen statt auf den gefährlichen Kampf in der Bürgerrechtsbewegung setzte, wie es der Vater weiterhin tat.

Mit dem Tycoon des „Gilded Age“ muß Belle da Costa Greene, die naturgemäß aus vergleichsweise ärmlichen Verhältnissen kommt, beständig Kämpfe ausfechten, ohne dabei ihre Position aufs Spiel zu setzen. Wer hat das Sagen – Morgan oder „seine“ Bibliothekarin? Soll auch zeitgenössische Kunst angekauft werden? Wie selbständig darf sie agieren? Wird es eine Affäre zwischen den beiden geben?

Auch vor persönlichen Schicksalsschlägen bleibt Belle nicht verschont, als sie den Mann ihres Lebens kennenlernt (mehr wird hierzu nicht verraten). Aber davon macht sie sich schlußendlich frei, denn es gilt, ein Lebenswerk zu errichten und zu bewahren, geschaffen von einer – in ihren eigenen Worten – farbigen Frau.

Obwohl ich bei fiktionalisierten Lebensberichten grundsätzlich eine gewisse Skepsis habe, fand ich dieses Buch sehr gelungen. Vor allem ist den Autorinnen hoch anzurechnen, daß sie offenlegen, was sie aus dramaturgischen Gründen geändert und was sie hinzuerfunden haben.

Eine klare Leseempfehlung!

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