Essays von Gustav Seibt

Gustav Seibt, In außerordentlichen Zeiten. Politische Essays, C.H. Beck, München 2023, 256 Seiten

Gustav Seibt, In außerordentlichen Zeiten | Foto: nw2024

Der 1959 in München geborene Seibt ist studierter Historiker, Journalist bei renommierten Tageszeitungen (seit 2001 bei der Süddeutschen Zeitung) und Autor mehrerer Bücher über Goethe.

Es handelt sich um eine Sammlung von Essays, die zwischen 2005 und 2023 in der Süddeutschen Zeitung erschienen sind und von Seibt in sieben thematische Abschnitte gruppiert sind. Dadurch stehen ältere und neuere Texte zum selben Thema nebeneinander und Wiederholungen bei Analogien, Bezugspunkten oder Argumenten werden augenfällig. Gleichzeitig wird aber auch die Tauglichkeit und Überzeugungskraft von Argumenten im Lauf der Jahre sichtbar, ebenso die Beständigkeit von Problemen.

Ob Seibt sich nun einzelnen Personen zuwendet – genannt seien unter anderem Helmut Schmidt, Fritz Stern, Martin Mosebach oder Golo Mann – oder Themenfeldern wie Freiheit und Liberalismus, Einwanderung und Zugehörigkeit, Gelingensvoraussetzungen von Demokratie, internationaler Machtpolitik und schließlich Europa – alle Texte stecken voller historischer und literarischer Bezüge. Neben Goethe dienen auch Napoleon und Friedrich von Gentz häufig als Referenz, ebenso Thomas Mann und Martin Mosebach.

Eine der zentralen Fragen des Buches ist die nach der Bedeutung von Freiheit, eng verbunden mit derjenigen nach Bürgerlichkeit als Gesinnung und Gesittung. Von da aus ist es nicht weit zum Gedenken und zum Umgang mit dem Erbe der Vergangenheit, ein Themenkomplex, bei dem Seibt nach meinem Dafürhalten zu Hochform aufläuft. Dementsprechend sind die Essays „Riesenmobiliar: Vom Altern der Denkmäler“ (2020), „Ein ambivalenter Tag. 9. November: Erpresste Versöhnung“ (2021) und „Namen sind auch nur Trümmer. Umbenennung überflüssig: Preußen ohne Botschaft“ (2023) Glanzlichter des Bandes. Die Kritik am schwerblütig-didaktischen offiziellen Gedenken in Wort und Stein ist ebenso grandios wie die Gedanken über Preußen und seine Hinterlassenschaften: „Aber eine Tabula rasa ist am Ende immer langweiliger und auch hochmütiger als das, was unwillkürlich übrig blieb und was jede Generation mit eigenen Beiträgen fortsetzen kann – im melancholischen Wissen, dass auch die eigenen Zeichen sehr bald verblassen.“

Die Lektüre der bei Erscheinen tagesaktuellen Beobachtungen führt augenblicklich in die damalige Situation und Diskussionslage zurück. Durch die von Seibt hergestellten Bezüge in Geschichte und Literatur atmen die Texte aber auch Zeitlosigkeit. Seibt erweist sich als belesener und sprachlich versierter Autor, der seinen jeweiligen Gegenstand angemessen behandelt und anregend diskutiert.

Klar ist aber auch, daß bei einzelnen Punkten Hoffnungen enttäuscht wurden, Prognosen nicht eingetreten sind oder Sachverhalte in der Rückschau anders bewertet werden müssen. Und leider hat sich auch manches immer noch nicht geändert!

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