Norman Manea, Wir sind alle im Exil. Essays, München: Carl Hanser Verlag, 2015, dt. 2015, 222 Seiten.
Das Taschenbuch enthält elf Texte zum Thema Exil. Der 1936 geborene rumänische Jude kam als Fünfjähriger mit seiner Familie in ein Konzentrationslager in Rumänien, begann in den 1960er Jahren zu schreiben, lebte ab 1974 als freier Schriftsteller und geriet immer mehr in Opposition zum Ceausescu-Regime; 1986 ging er ins Exil: Zunächst für ein Jahr nach Berlin (West) und dann in die USA, wo er in New York lebt und am Band College unterrichtet. Er veröffentliche mehr als zehn Bücher und schreibt regelmäßig für die Zeitschrift »Sinn und Form«.
Exil als elementare Erfahrung und ständige Herausforderung ist das Thema von Maneas Texten, die das Buch versammelt. Ein Text entstand 1989 und reflektiert die erste, Berliner Etappe des Exils. Die anderen sind zwischen 2001 und 2015 entstanden. Alle kreisen sie um das eigene, manche auch um das fremde Exil; prominent geht es um Rumänien und das Rumänesein, die Sprache und die Sprachlosigkeit als rumänischer Autor in der Fremde. Wie kann man sich seiner selbst vergewissern, wie mit anderen in Verbindung treten?
Im ersten, vom Berliner Exil handelnden Text geht es um den Briefträger als gleichermaßen freundliche wie wichtige Person, die den Kontakt zu den Bezugspersonen in aller Welt herstellt. Hier erscheinen die 1980er Jahre beinahe so fern wie Kakanien – Westberlin ist genauso dahingegangen wie das Briefeschreiben.
Die Sprache ist von wesentlicher Bedeutung für jeden Schriftsteller, erst recht für den im Exil lebenden. Dieses Thema wird an vielen Stellen des Buches behandelt; die Aneignung einer fremden Sprache ebenso wie das Verbundensein mit dem Rumänischen, der eigenen Muttersprache. Kluge Sätze schreibt er auch zum Übersetztwerden und zum Übersetzbarsein – Luxus für den Nationalschriftsteller, Existenzbedingung für den Exilschriftsteller. Mit der Sprache bleibt Manea verbunden, aber auch Rumänien läßt ihn – wie die anderen Exulanten, die das Land oft lange vor ihm verlassen haben – nicht los. Ist es zunächst das bei aller Grausamkeit lächerliche Regime Ceausescus, das ihre Gemüter bewegt, so ist es dann die Revolution und die turbulenten Zeiten danach. Manea erörtert zwischenmenschliche und kulturelle Solidarität, beschäftigt sich als Professor mit rumänischer Literatur im besonderen und osteuropäischer Literatur im allgemeinen, um sie seinen Studenten nahezubringen.
Es geht auch um die Begegnungen mit anderen Rumänen, die im Exil leben, um Erfahrungen mit Geheimdiensten und immer wieder um Antisemitismus. Ein wegen seiner Variation des Themas Exil und wegen des klaren Stils äußerst lesenswertes Buch.
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