Der deutschsprachige Bücherfreund kommt um das Thema Exilliteratur nicht herum, sobald er sich mit der Literatur des 20. Jahrhunderts befaßt.
Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt, bereits am 10. Mai 1933 fanden – organisiert von Studenten – im ganzen Reich öffentliche Bücherverbrennungen statt, die Höhepunkt einer mehrwöchigen „Aktion wider den undeutschen Geist“ waren. Grundlage für die Titelauswahl waren von dem Bibliothekar Wolfgang Hermann in Eigeninitiative erstellte Schwarze Listen. Diese erfaßten (in zeitgenössischer Terminologie):
- Wissenschaftliches Schrifttum des Marxismus und Kommunismus
- Aus dem Geiste volksentfremdeten Großstadtliteratentums hervorgegangene Asphaltliteratur
- Literatur, die das Erlebnis der Frontsoldaten in den Schmutz zieht
- Literatur, die die sittlichen und religiösen Grundlagen unseres Volkes untergräbt
- Schriften zur Verherrlichung der Weimarer Republik
- Schrifttum, welches das berechtigte Empfinden nationaler Kreise verletzt
Die Liste der Autoren und Werke ist angesichts dieser Auswahlkriterien lang, wie man sich unschwer vorstellen kann.
Viele der damals zeitgenössischen Autoren gingen ins Exil, wichen aus in Nachbarländer, mußten weiterziehen, nachdem der Krieg begonnen hatte und das Deutsche Reich ein Nachbarland nach dem anderen eroberte. Manche gingen in die Sowjetunion, andere nach Übersee, in die USA oder nach Lateinamerika, wieder andere gingen in den besetzten Ländern in den Untergrund. Nicht wenigen gelang die Flucht irgendwann nicht mehr, und sie wurden umgebracht.
So wichtig dieses Exil und die hieraus entstandene Exilliteratur ist, es gab und gibt weitere Exilsituationen – die für die davon Betroffenen kaum minder dramatisch waren. Ein kurzer Rundblick:
Publius Ovidius Naso, der Dichter Ovid, wurde vom römischen Kaiser Augustus im Jahre 8 n.Chr. verbannt. Wohl aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung und seiner Popularität als Künstler blieben ihm Bürgerrechte und Vermögen erhalten – die Römer kannten rechtlich abgestufte Formen der Verbannung, diese schwächere nannte man relegatio.
Dante Alighieri wurde im Jahre 1302 in Florenz wegen politischer Umtriebe für den Fall seiner Rückkehr in die Stadt zum Tode verurteilt und blieb ihr danach bei wechselnden Aufenthaltsorten bis zu seinem Tode 1321 in Ravenna fern.
Wikipedia führt unter dem Stichwort „Exilliteratur“ weiter aus:
Im 19. Jahrhundert publizieren die deutschen Exilschriftsteller Heinrich Heine, Ludwig Börne, Ferdinand Freiligrath und Georg Büchner in Paris bzw. London. Zu den bekanntesten polnischen Exilliteraten in Paris zählen Adam Mickiewicz, Juliusz Słowacki, Zygmunt Krasiński, aus Russland ist Turgenew zu nennen. Victor Hugo ging nach dem Staatsstreich des späteren Napoléon III. nach Guernsey ins Exil und kehrte erst nach Napoléons Sturz zurück. Napoléon III. selbst verfasste, vor seiner Machtübernahme, im Exil in London und New York mehrere theoretische Werke.
In Russland wirken bis 1917 Autoren im Exil, die gegen die zaristische Herrschaft opponierten (Lenin, Maxim Gorki); nach der Oktoberrevolution müssen ihre Gegner das Land verlassen, um zu schreiben, kehren teilweise später wieder zurück (Schklowskij, Andrei Bely, Alexei Tolstoi). I. A. Bunin (1933), Alexander Solschenizyn (1970) und Joseph Brodsky (1987) wurde der Nobelpreis verliehen. Nach 1945 gehen Schriftsteller wie Andrej Amalrik (1976) und Solschenizyn (Ausweisung 1974) ins Exil.
Aber auch aus den anderen Ostblockstaaten und aus den lateinamerikanischen Militärdiktaturen gingen Menschen, darunter zahlreiche Schriftsteller, ins Exil. Aus dem Iran flohen Menschen vor der Herrschaft des Schah ebenso wie nach der Machtergreifung der Mullahs in der „islamischen Revolution“ des Ajatollah Khomeini.
Atiq Rahimi floh aus Afghanistan, Stefan Zweig aus Österreich, Thomas Mann und die Seinen aus Deutschland, Norman Manea aus Rumänien.
Exilliteratur und Exulantenschicksale werden in den Notizheften auch weiterhin betrachtet werden. Nicht nur der berühmte Sommer in Ostende, sondern auch andere Konstellationen spielen in meinem Leseverhalten eine Rolle.
Unterstützen wird mich dabei das umfangreiche „Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945“, soweit es um die deutschsprachige Exilliteratur auf der Flucht vor den Nazis geht. Hier wie in anderen Fällen sollen aber vor allem auch die Autorinnen und Autoren selbst sprechen, mit ihren im Exil verfaßten Texten.
Bei meinem letzten Besuch in Amsterdam habe ich mich um die Orte des literarischen Exils in der Stadt gekümmert. Daraus habe ich dann eine Reihe von acht Beiträgen entwickelt. https://manfredvoita.wordpress.com/2016/08/10/literarisches-amsterdam-1/
Vielen Dank für den Hinweis; die Reihe schaue ich mir gerne näher an!
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