Leben im Zeichen der Bücher – die Familie Mann

Bücher über die Brüder Thomas und Heinrich Mann und ihre Familien, geschrieben von Marcel Reich-Ranicki, Marianne Krüll, Manfred Flügge und Tilmann Lahme.

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Foto: nw2016

Deutschland hatte im 20. Jahrhundert einige Industriellenfamilien – die Krupps vor allem, die Quandts, die Flicks – mit Weizsäcker und Gysi Politiker, deren Väter in hoher Position zuvor einem anderen Regime dienten, es gab oder gibt zwei oder mehr Generationen umspannende Professorenfamilien (z. B. Mommsen, Huber, Kirchhof). Bei den Schriftstellern kann wohl keine andere Familie den Manns das Wasser reichen. Heinrich und Thomas Mann traten am Ende des 19. Jahrhunderts hervor und produzierten bis zu ihrem Tode – 1950 bzw. 1955 – immer neue Texte. Erika, Klaus, Golo, Monika, Elisabeth und Michael Mann, die Kinder Thomas’, waren alle ebenfalls Autoren, wobei Golo, Elisabeth und Michael überwiegend, aber nicht ausschließlich wissenschaftliche Texte publizierten. Dies gilt auch für Michaels Sohn Fridolin, den „Lieblingsenkel“ Thomas Manns.

Während sich die Germanistik zunächst nur mit den Brüdern Heinrich und Thomas beschäftigte, gerieten nach und nach alle Kinder, aber auch die Ehefrau Katja und die Mutter Julia sowie die jüngeren Geschwister in den Blick, zumal Briefe und autobiographische Schriften sowie die ab Ende der 1970er Jahre herausgebrachten Tagebücher Thomas Manns lohnende Einblicke in ein komplexes Familiengeflecht versprachen.

Nach dem Thee Besuch bei Horkheimers, zum Dank für Aufsicht und Pflanzenbetreuung. (Tagebuch TM, 15.12.1942; Lahme, S. 271)

In diesem Essay werden zunächst vier Bücher vorgestellt, die sich der Familie Mann als ganzer nähern und sich nicht auf einen der beiden Brüder konzentrieren. Sie sind bei weitem nicht die einzigen Versuche in dieser Richtung, sondern stehen für eine Vielzahl ähnlicher Unternehmungen. Die Bücher wurden zu unterschiedlichen Zeiten und aus unterschiedlichen Blickwinkeln geschrieben.

  • „Thomas Mann und die Seinen“ betitelte Marcel Reich-Ranicki seine erstmals 1987 erschienene Sammlung von Texten, deren erweiterte Neuauflage 2005 Beiträge aus mehr als drei Jahrzehnten enthielt.
  • Die Soziologin und Familienforscherin Marianne Krüll legte nach zehnjähriger Recherche im Jahr 1991 ihr Buch „Im Netz der Zauberer. Eine andere Geschichte der Familie Mann“ vor. Ihr Ansatzpunkt ist die Selbsttötung Klaus Manns, deren Ursache sie zunächst anklagend in der Familie sucht.
  • Manfred Flügge beschäftigt sich seit langem mit der deutschen Exilliteratur und widmete sich von 1990 bis 2015 den Manns. Sein Buch „Das Jahrhundert der Manns“ behandelt die Familiengeschichte in ihren Zeitbezügen.
  • Tilmann Lahme, ehemaliger Feuilletonredakteur, Kulturwissenschaftler und Biograph Golo Manns sowie Herausgeber der zuvor unbekannten Familienbriefe legte sein Buch „Die Manns. Geschichte einer Familie“ ebenfalls 2015 vor.

Es schließen sich kürzere Überlegungen zu den Manns und zur Bedeutung der Familie an.

Meisterhaft hat er seinen Ruhm verwaltet. (S. 35)

Brief- und Tagebucheditionen bilden den tagesaktuellen Anlaß für Marcel Reich-Ranicki, Essays über diese Editionen und den von ihm hochverehrten Thomas Mann zu schreiben. Denn „[n]ichts, was Thomas Mann geschrieben hat, darf uns gleichgültig sein“ (S. 22). In der Zusammenschau, die der Band ermöglicht, führt MRR seine Leser durch Werk und Leben Thomas Manns, thematisiert dessen Verständnis von Literaturkritik, soweit sie sich einerseits auf das eigene Schaffen bezog, und soweit sie selbst von ihm betrieben wurde. Für sich selbst reklamiert MRR jedoch die Freiheit des Kritikers und möchte sich nicht den Maßstäben seines Hausgottes beugen. Der Vergleich mit Goethe, den Thomas Mann sucht und MRR für legitim hält, wird mehrfach thematisiert, ebenso wie die Homoerotik des sechsfachen Familienvaters, die der Nachwelt erst durch die Tagebücher zweifelsfrei offenbar wurde. Hat sie das Werk geprägt? Natürlich, sagt MRR und weist diskret auf einzelne Figuren hin, ohne die Texte Manns als Gay Literature zu lesen. Außerdem geht es um Thomas Manns Verhältnis zur Politik und zu Deutschland, im Kaiserreich und der Weimarer Republik sowie im Exil während der Nazizeit.

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Thomas Mann, 1953 aus: Wysling/Schmidlin (Hrsg.), Thomas Mann, Ein Leben in Bildern, 2. Aufl. 1994

MRR geht kenntnisreich und pointiert ein auf „Lotte in Weimar“, „Tonio Kröger“ und auf „Der Erwählte“, er streift mit gleicher Qualität „Königliche Hoheit“ und „Tod in Venedig“. Er konstatiert die  Schmucklosigkeit der Tagebuchsprosa, die eine unmittelbare Begegnung mit dem Menschen Thomas Mann ermögliche. Heinrich Manns literarisches Schaffen findet keine Gnade vor den Augen MRRs, wie sein Neffe Klaus hätte er sorgfältiger arbeiten, Kitsch und Banalität meiden müssen.

MRR, der die Goetheaffinität Manns durchgängig thematisiert, läßt am Ende des Thomas Manns gewidmeten Teils ganz beiläufig in abgewandelter Form eine klassische Formulierung von JWG einfließen, als es um die Figur Albrecht van der Qualen geht: „Er ist der einzige, der nicht gerichtet, der vielleicht sogar gerettet wird.“ (S. 213) Hier schließt sich ein wohlgeratener Kreis. Ein empfehlenswertes Buch.

Wo Makel ist, da ist Adel. (S. 213)

Verdichtet, voraussetzungsreich und flott zugleich, die Grenze zur Banalität oft nicht nur streifend, so ist Flügges Buch verfaßt.

[…] zur Lektüre der Klassiker des 17. Jahrhunderts ist er nie gekommen. (S. 37)

Mit diesem absurd anmutenden Hinweis auf das Schulfranzösisch Heinrich Manns thematisiert Flügge erstmals das sonderbare Verhältnis des Autors zu Frankreich; dem Werk steht er grundsätzlich positiv gegenüber, auch wenn er ihm gelegentlich Kitsch, Schwulst und opernhaftes Pathos ankreidet. „Der Untertan kann als bleibendes Meisterwerk von Heinrich Mann gelten.“ (S. 41). Apodiktisch und ohne weitere Begründung steht dieser Satz da. Stattdessen gibt es Abschnitte von zweifelhaftem (Informations)Wert wie diesen:

Die Gestalt, deren Leben Heinrich Mann im Roman Ein ernstes Leben (1932) nachzeichnet, ist begabt fürs Unglück, für das eigene, das sie nicht verhindern kann, wie für das der anderen, das sie vorzeitig ahnt. Die Kindheit einer Dirne wird darin einfühlsam geschildert. Und es wurde eine Art Heimatroman, denn viele Szenen spielen an der Ostseeküste, einige sogar in Lübeck. Wer der Person, die als Vorbild diente, den Rufnamen Nelly gegeben hat, weiß man nicht. Im Taufregister der Kirchengemeinde Ahrensbök ist sie vermerkt als Emmy Johanna, geboren am 15. Februar 1898, getauft am 11. April desselben Jahres. Der Vater ist angegeben mit Nikolaus Wilhelm Heinrich Kröger, die Mutter heißt Bertha Margareta Fließ, geb. Westphal. Nellys Mutter heiratete später jenen Fischer Kröger, der Nelly als seine Tochter anerkannte. Die gelernte Näherin stammte aus ärmlichsten Verhältnissen, kam irgendwann nach Berlin, wo sie ins Nachtleben geriet.

Margot Voss, eine damalige Berufskollegin von Nelly, mit der Heinrich Mann nach 1945 einen längeren Briefwechsel führte, lieferte einige Details zu ihrer gemeinsamen „Arbeit“. Gewohnt hat Nelly in der Marburger Straße 5. Das Lokal Bajadere, in dem Heinrich Mann Nelly kennenlernte, lag in der Keithstraße, unweit vom Wittenbergplatz. Im Februar 1930 nahm er sie erstmals mit nach Nizza. Dort besuchte sie der Filmproduzent Erich Pommer von der UFA. Gemeinsam sahen sie die Kopie des Blauen Engel in einem Kino an der Promenade des Anglais. Ein Foto zeigt Heinrich und Nelly auf einer Café-Terrasse in Nizza. Nelly hat sich à la Marlene Dietrich zurechtgemacht. Bei der Premiere des Films in Berlin im März war Heinrich Mann nicht anwesend. (S. 48f.)

Meist ist das Buch eine Mischung aus Nacherzählung der Texte aus der Feder verschiedener Mann-Autoren, Biographischem, Tratsch und generellen, meist kurzen Betrachtungen zum Weltgeschehen. Erstaunlich kommt mir vor, daß zwar viele Details ausgebreitet werden, aber kaum substantiell Neues gegenüber dem Band von MRR geliefert wird. Einmal heißt es in dem Abschnitt über Erika Mann, daß eine Information erst seit dem Jahr 2009 bekannt sei, aber so etwas ist selten erkennbar.

Schön und überraschend der Hinweis auf S. 188, daß das berühmt gewordene Diktum von Golo über Vater und Onkel als den „unwissenden Magiern“ in der brieflichen Selbstcharakterisierung Thomas Manns aus dem Jahre 1901 als „unwissender Poet“ einen frühen Vorläufer hatte.

Mehr Passagen wie die nachfolgende wären – vielleicht zum Ende hin noch etwas sachlicher formuliert – ein Gewinn für das Buch gewesen:

Literatur ist etwas Zwiespältiges bei Thomas Mann, denn er hat den lügnerischen Charakter der Wortkunst immer betont, auf deren Wirkungen er gleichwohl seine Karriere gebaut hat. Seine Laufbahn als Autor verlief glänzend – und doch zitierte er in seinen letzten Jahren immer wieder die Worte Prosperos aus Shakespeares Theaterstück Der Sturm: My ending is despair. Sollte Thomas Mann zuletzt in Verzweiflung verfallen sein? War sein Leben nicht ein durch und durch gelungenes in einer chaotischen Zeit? Mehr an Wirkung und Anerkennung (die sich noch in den Anfeindungen zeigte) war in seiner Zeit nicht denkbar, vor allem für einen deutschen Autor. Wie glänzend wurde er in aller Welt empfangen und geehrt, in London, in Stockholm, in Zürich? In Holland empfing ihn gar die Königin! Und er trug auf Deutsch vor, der Sprache der einstigen Besatzer! (Während er in Deutschland umstritten war.) Welcher deutsche Autor außer ihm hätte dergleichen bewirken können? (S. 239)

Die Passagen und Abschnitte über das Exil hätten, gerne auch mit Blick auf die Familie als Ganzes, nach meinem Dafürhalten stärker durchgearbeitet werden können. Das Wiederauftauchen der bereits erwähnten Margot Voss auf S. 263 hätte besser lektoriert werden müssen. Insgesamt hat mich das Buch enttäuscht, auch wenn Sigrid Löffler etwas Liebes hinten drauf geschrieben hat.

Krülls Buch war beim Erscheinen eine ziemliche Überraschung: Hier hatte sich keine Literaturwissenschaftlerin respektvoll der Familie des untersuchten Autors genähert, um mehr über einen bestimmten Text oder die Entstehungsbedingungen des Werks zu erfahren, sondern eine Familienforscherin und Soziologin studierte, ausgehend vom Suizid Klaus Manns, eine bekannte Familie mit vielen schreibenden Mitgliedern. Sie greift dazu in die Familienstrukturen vor der Geburt von Heinrich und Thomas zurück, zieht Linien, weist auf Ähnlichkeiten in Lebensläufen hin und deckt Veränderungen in den Familienerzählungen auf. Die Arbeit profitiert davon, daß zum Zeitpunkt ihrer Entstehung bestimmte Materialien erstmals zugänglich sind und unter nicht primär literaturwissenschaftlichen Gesichtspunkten ausgewertet werden. Ihr Duktus macht aber auch deutlich, daß sie zu Beginn einer Entwicklung verfaßt wurde, vieles klingt spekulativ:

Johann Thomas Heinrich [der Vater von Thomas und Heinrich Mann] erlebte als Vierjähriger den Tod seines kleinen Bruders mit. Wenn wir die Geschichte seiner Familie weiterverfolgen, so scheint es, als habe dieser Tod seinen Schatten geworfen, der noch das Schicksal von späteren Söhnen der Familie beeinflußte. (S. 45)

Angesichts der Kindersterblichkeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts scheint mir das etwas weit hergeholt. Auch Entwicklungsschübe und Brüche durch Verwitwung und zweite Ehen, Ortswechsel und berufliche Neuorientierung sind völlig normal, wie nicht zuletzt Lothar Galls großartige Studie „Bürgertum in Deutschland“ (1989) am Beispiel der Familie Bassermann gezeigt hat.

Hatten sich also mit Thomas Johann Heinrich und Julia zwei Menschen zusammengefunden, die tief verunsichert waren und die verzweifelt versuchten, sich durch einen äußeren Rahmen, eben ihre standesgemäße Heirat, gegenseitig einen Halt zu geben? (S. 49)

Durchgängig wird viel vermutet und psychologisiert, damals durchaus modern und mit Blick auf den Gegenstand der Untersuchung auch innovativ. Beim Wiederlesen kommen mir viele dieser Stellen jedoch wie Humbug und stetes Raunen vor.

Acht Menschen, acht Blickwinkel: So wurde die Geschichte der Manns noch nicht erzählt. (Verlagswerbung für Tilmann Lahmes Buch)

Lahmes Buch ist ganz anders als die bisher erwähnten drei. Eine biographische Erzählung, ungeheuer materialgesättigt, breit abgestützt – und quicklebendig. Das ist wahre Kennerschaft! Überrascht war ich, daß Lahme offenbar von Lesern ausgeht, die nicht wissen, wer die Marlitt  war (S. 41) oder welche Schulklasse man als Quarta bzw. als ungenannt bleibende Untertertia bezeichnet. Doch ansonsten bietet das Buch ungetrübte Lesefreude, Stil und Herangehensweise sprechen mich an.

Mein Fazit: Die Essaysammlung von Marcel Reich-Ranicki atmet (partielle) Zeitgenossenschaft und bezeugt die lebenslange Beschäftigung mit dem Werk Thomas Manns. Tilmann Lahme weist darauf hin, wie der 16-jährige MRR den „Bonner Brief“ des verehrten Autors vom 1. Januar 1937, zwei Wochen später in der Schweiz gedruckt und auch in Deutschland als Untergrundschrift verteilt, im Kreise einer kommunistischen Gruppe bewegt zur Kenntnis nimmt.

Reich-Ranicki ist parteiisch und bevorzugt ihn gegenüber dem Bruder und den Söhnen. Sein Stil ist dem Gegenstand angemessen, gelegentliche Schärfen eingeschlossen. Die tagesaktuelle Behandlung der nach und nach erscheinenden Tagebucheditionen beförderte einen eher punktuellen Zugriff, keine echte Längsschnittanalyse.

Krüll, die zwischen 1974 und 1993 am Seminar für Soziologie der Universität Bonn als Post-Doc tätig war und über Sigmund Freud, vorgeburtliches Leben und feministische Themen arbeitete, verfolgte auch familientherapeutische Fragestellungen, in deren Umfeld die Mehrgenerationenstudie über die Manns entstand. Ihr Buch nimmt insoweit eine Sonderstellung unter den hier vorgestellten Titeln ein, ergänzt diese aber aus meiner Sicht trotz des etwas anstrengenden Tons auf eine nicht uninteressante Art und Weise.

Tilmann Lahme hat einen spannenden Page-turner geschrieben, der raffiniert Zitate und Fakten in einen gelungenen Erzählstrom einbettet und dabei den wissenschaftlichen Anspruch wahrt. Da kann Manfred Flügges Band – Spiegel-Bestseller her oder hin – meiner Ansicht nach nicht mithalten.

„Die Manns“, eine „amazing family“, aber keine „Firma“ wie die Windsors – eine Ansammlung von mehr oder weniger schwierigen und meist eher unglücklichen Menschen, geprägt von der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, Betroffene, Akteure, Überdauernde. Jeder für sich zum unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlicher Ausprägung, aber doch alle mit einander verbunden und im eigenen Bewußtsein Teil einer Schicksalsgemeinschaft.

Als Schriftsteller steht ganz klar Thomas Mann im Fokus des öffentlichen und auch wissenschaftlichen Interesses, das sich auf weite Teile des Œuvres bezieht. Bei Heinrich und Klaus Mann stehen meinem Eindruck nach nur einzelne Werke im Blickpunkt, wobei beide vom Schullektürencharakter einzelner Romane profitieren dürften. Golo Mann war einst mit seinem – überaus erfolgreich verfilmten – Wallenstein und auch der Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts populär geworden, spät zwar, aber autark – was ihm wohl besonders wichtig war. Die Zeit ist dann aber über ihn hinweggegangen, obwohl zwei gute Biographien zeigen, daß sich die Beschäftigung mit Leben und Werk Golo Manns lohnt. Der 2001 gezeigte Film „Die Manns. Ein Jahrhundertroman“ von Heinrich Breloer lenkte das Interesse der Zuschauer auf alle Familienmitglieder, die wie Planeten um die Zentralfigur Thomas Mann kreisten; besondere Aufmerksamkeit lag dabei naturgemäß auf Elisabeth Mann-Borgese, die als einzige Überlebende durch Gespräche Einblicke vermitteln konnte. Seit Jahrzehnten hatte sie – freilich meist unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland bleibend – als Meeresschützerin und Seerechtsaktivistin internationales Ansehen gewonnen.

Elisabeth hatte in einem ihrer frühen Bücher Familien als krisenhafte Arrangements bezeichnet, man darf annehmen, daß in diese Erkenntnis eigene Erfahrungen eingeflossen sind. Familie ist auch im Werk der schreibenden Herren Mann nicht positiv konnotiert; der sprichwörtliche Verfall einer Familie ist nicht auf die Lübecker Kaufmannsfamilie Buddenbrook beschränkt. Marianne Krülls Untersuchung trägt wohl alles in diesem Zusammenhang Sagbare zusammen und orakelt herum, um am Ende zu sagen, sie habe ‚diese‘ Geschichte erzählt, aber jemand anders könne genauso gut eine ‚andere‘ Geschichte erzählen.

Blut, das ja bekanntlich dicker als Wasser ist, bindet die Angehörigen einer Familie oft auf eine untergründige Art aneinander, mitunter stärker, als es den jeweiligen Personen bewußt ist. Jenseits adliger und bürgerlicher Kreise ist das Wissen um das eigene familiäre Herkommen durchaus unzureichend bewahrt; oft ist außer Kirchenbüchern und Standesamteintragungen nichts dokumentiert, gingen auch Briefe und Tagebücher in Kriegswirren verloren. Oder eine Familie verliert sich, die Generationenfolge reißt ab. Gelegentlich kündet ein verwitterter Grabstein, manchmal ein Straßenname, ein Kunstwerk von denen, die einst da waren.

Bei „den Manns“ ist es die Mischung von Werk, Zeugnis und Familie, die wohl noch eine Weile Aufmerksamkeit garantiert.

Zur Abrundung sei noch verwiesen erstens auf das Buch über die ungleichen Brüder Thomas und Heinrich, das ich bereits vorgestellt und beurteilt habe, sowie zweitens auf Michael Maars Band über Tagebuchschreiber. Außerdem interessant und zu empfehlen:

  • Thomas Mann. Ein Leben in Bildern, hrsg. von Hans Wysling und Yvonne Schmidlin, 2. Aufl. 1994
  • Erika Mann, Mein Vater, der Zauberer, 1996 (Briefe, Essays und sonstige Äußerungen)
  • Manfred Görtemaker, Thomas Mann und die Politik, 2005
  • Hans Rudolf Vaget, Thomas Mann, der Amerikaner. Leben und Werk im amerikanischen Exil 1935-1952, 2011
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12 Antworten zu Leben im Zeichen der Bücher – die Familie Mann

  1. Manfred Voita schreibt:

    Tolle Übersicht! Die Manns als Familie, als Autoren, in jeder Hinsicht eine außergewöhnliche Familie, die mich sehr fasziniert!

  2. nweiss2013 schreibt:

    Freut mich, daß Dir der Beitrag gefällt. Ich finde die Familie auch sehr interessant. Besonders gut: Man hat immer etwas zu Lesen!

  3. Katta schreibt:

    Sehr interessanter und wertvoller Eintrag, vielen Dank! 🙂

    Allerliebste Grüße,
    HOLYKATTA

  4. Mageia schreibt:

    Die von Marcel Reich-Ranicki muss ich mall Lesen. Im Fernsehn war hatte Reich-Ranicki einen sehr guten Eindruck auf mich gemacht. Ein guter Hinweis, danke.

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  7. @noelte030 schreibt:

    Danke dafür, einmal wieder an die Manns erinnert zu werden; in Ergänzung habe ich eine unbedingte Leseempfehlung:
    Hermann Kurzke: Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk. München 2001

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