Am 6. Juni 1875 wurde er in Lübeck geboren, der Stadt, die in seinem Werk nicht nur als Kulisse dient, sondern deren geistiges Klima gespiegelt und verarbeitet wird. Bei meinem erst kurze Zeit zurückliegenden Besuch in Lübeck konnte ich diesen Aspekten schön nachspüren.
Zur Nachbereitung liegt der schön gestaltete Band »Lübeck als geistige Lebensform« parat, hilfreich ist wie stets der großartige Band »Thomas Mann. Ein Leben in Bildern«, herausgegeben von Hans Wysling und Yvonne Schmidlin.
Das Werk, dem er, wie man so sagt, das Leben untergeordnet hat, ist raumgreifend. Noch immer habe ich nicht alles gelesen, was auch daran liegt, daß ich manches immer wieder lese. Mich begeistert die Sprache, die sich bei aller Komplexität und Satzlänge ganz wunderbar vorlesen läßt. Mir gefällt der Humor, ich mag die Art der Charakterisierung von Personen.
Lübeck und München, Schopenhauer, Nietzsche, Wagner – das steckt Denk- und Lebensräume ab; Weltkrieg und der Wandel vom Kaiserreich zur Republik erschüttern seine Vorstellungswelt zunächst. Die langandauernde Rivalität mit dem älteren Bruder Heinrich, der sich früh und klar politisch positioniert, wird jetzt besonders spürbar.
Heinrich und Thomas waren beide literarisch produktiv, folgten aber anderen Idealen und wählten unterschiedliche Zugänge zum Schreiben. Ende 1903, da beide schon hervorgetreten waren, kommt es zu einem Zerwürfnis über Heinrichs Roman »Die Jagd nach Liebe«, dem Thomas „Wirkungssucht“ und „schlaffe Brunst in Permanenz“ vorwarf, nachdem er bereits »Die Göttinen« kritisiert hatte.
Selbst war Thomas Mann in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg vor allem damit beschäftigt, nach den »Buddenbrooks« mit dem Schreiben weiterzumachen, Themen und Formen zu finden. Es entstehen Novellen, u.a. »Tristan« und »Tonio Kröger«. 1903 begegnet er Katja Pringsheim, kaum ein Jahr später verloben sich die beiden, Anfang 1905 heiraten sie. »Wälsungenblut« und »Königliche Hoheit« verarbeiten die Erfahrung Thomas Manns mit der Welt der Pringsheims.
Mit »Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull«, »Der Tod in Venedig« und »Der Zauberberg« unternimmt Thomas Mann umfangreich ausgeführte Positionsbestimmungen und Selbstvergewisserungen, die er aber in eine Form kleidet, die ihr Publikum fand und bis heute findet. Der Felix Krull wird erst nach 1951 fortgeführt und mit Altersweisheit und -offenheit, die die auf den Ruf ihres Vaters bedachte Erika Mann gelegentlich abmildern muß, in Weite und Ferne getragen.
Von 1914 bis 1933 lebt die Familie im repräsentativen Haus in der Münchener Poschingerstraße 1, wo auch die beiden jüngsten Kinder zur Welt kommen: Elisabeth (1918) und Michael (1919). 1905 war Erika, 1906 Klaus geboren worden; es folgten Golo (1909) und Monika (1910). Die Ehe der beiden kann als echtes – und im Falle von Thomas Mann auch als notwendiges – Lebensprojekt bezeichnet werden.
Vater und Mutter sind unzertrennlich und doch durchaus verschieden – ein heterogenes Doppelwesen. Der Vater spricht eher langsam, mit einer gleichmäßigen und sonoren Stimme; die Redeweise der Mutter ist geschwind, und ihre Stimme springt vom tiefsten Baß zu überraschenden Höhen. Sie ißt gern die bitterste Schokolade, trinkt den Tee ohne Milch und Zucker; er hat ein Faible für süße Suppen, Reisbrei und Hafergrütze, lauter Dinge, die sie perhorresziert. Mielein ist praktisch, aber unordentlich; der Zauberer ist weltfremd und verträumt, aber ordentlich bis zur Pedanterie. Der Mutter macht es nichts aus, wenn man sie um drei Uhr morgens stört, aber sie ärgert sich, wenn man die neuen Handschuhe verliert oder zu spät zum Zahnarzt kommt; der Vater weiß nicht einmal, daß man Handschuhe besitzt und daß unsere Zähne ärztliche Behandlung nötig haben, aber er mißbilligt es, wenn wir beim Essen schmatzen oder den schönen neuen Treppenläufer mit schmutzigen Schuhen betreten. (Klaus Mann, S. 26)
Mit dem Aufsatz »Gedanken im Kriege« (erschienen im September 1914), positionierte sich Thomas Mann wie die Mehrheit der Intellektuellen in ganz Europa damals ohne Zögern und ergriff für die nationale Sache Partei.
Die Sinnstiftung des Krieges im Sommer 1914 hat einen weitverzweigten philosophisch-kulturkritischen und literarischen Vorlauf im 19. Jahrhundert. In gewisser Weise funktionierte literarische Kriegseuphorie wie ein Aktualisierungsdiskurs, der real-historische Referenzen und semantische Elemente des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verbindet und auf die Geschehnisse im Sommer 1914 appliziert. (Lars Koch, S. 99)
Die 1919 erschienenen »Betrachtungen eines Unpolitischen« sind eine Rechtfertigungsschrift, tragen erneut scharf eine Kontroverse mit dem Bruder aus und werden vom Autor selbst schon als Rückzugsgefecht angesehen. Er gibt das Buch 1921 erneut heraus und findet erst danach zum neuen Staatswesen. 1922, anläßlich des 60. Geburtstags von Gerhart Hauptmann, hält er die Rede »Von deutscher Republik«. Von da an wird er die Republik von Weimar entschieden verteidigen, öffentlich für sie werben und ihre Gegner scharf kritisieren – eine Positionierung, die ihn gut zehn Jahre später ins Exil treiben wird.
Noch aber bleibt er im Lande, beendet den monumentalen Zauberberg (1924), wird mit dem Nobelpreis ausgezeichnet (1929) und beschäftige sich immer stärker mit Goethe, dessen hundertster Todestag 1932 begangen wurde. Mann nutzte einen landauf, landab gehaltenen Vortrag über »Goethe als Repräsentant des bürgerlichen Zeitalters«, um für Humanität zu werben. 1933 hält er die Rede »Leiden und Größe Richard Wagners« in München, Amsterdam, Brüssel und Paris und reist danach zu einem geplanten Kuraufenthalt in die Schweiz. Er wird erst nach dem Krieg, und dann auch nur besuchsweise, wieder nach Deutschland reisen. Am 17. März 1933 tritt er aus der Akademie der Künste aus, weil er die geforderte Loyalitätserklärung für das neue Regime nicht abgeben mag. Wenig später erreicht ihn der »Protest der Richard-Wagner-Stadt München«, darin distanzieren sich u.a. Pfitzner, Strauss und Knappertsbusch von seinem Wagner-Vortrag.
Aus dem SchweizerExil heraus reist er 1935 und dann 1936 wieder in die USA; Ende 1936 beantragt er die tschechische Staatsbürgerschaft. Daraufhin wird er vom Deutschen Reich ausgebürgert, gleichzeitig entzieht ihm die Universität Bonn die 1919 verliehene Ehrendoktorwürde. 1938 siedelt er endgültig in die USA über, wo er proklamiert:
Wo ich bin, ist Deutschland.
(New York Times vom 22. Februar 1938)
Thomas und Katja Mann leben vierzehn Jahre in den USA, sie führen kein typisches Emigrantenschicksal, sondern sind privilegiert, haben Zugang zu den Reichen und Mächtigen; der Autor wird übersetzt und von Agnes Meyer zielstrebig unterstützt. Er schließt die »Josephs-Trilogie« ab und schreibt mit »Lotte in Weimar« seinen Goethe-Roman. »Doktor Faustus« schließlich wird zur großen Auseinandersetzung mit den deutschesten aller Themen: dem Faust-Stoff und der Musik.
Daneben gibt es den engagierten politischen Redner, der sich gegen die Nationalsozialisten positioniert und im Krieg »An die deutschen Hörer« appelliert. Nach dem Krieg wird man ihm in der Bundesrepublik ablehnend gegenübertreten, um so mehr, als er im neuerlichen Goethe-Jahr 1949 in beiden deutschen Staaten spricht.
1955, im achtzigsten Lebensjahr stehend, hielt er in Stuttgart und erneut in Weimar die große Festrede zum 150. Todestag von Friedrich Schiller. Er wurde zum Ehrenbürger von Lübeck ernannt, empfing Ehrungen in Zürich und Amsterdam. Am 12. August 1955 starb Thomas Mann.
Verwendete und weiterführende Literatur
Lars Koch, Der Erste Weltkrieg als kulturelle Katharsis und literarisches Ereignis, in: Niels Werber/Stefan Kaufmann/ders. (Hrsg.), Erster Weltkrieg. Kulturwissenschaftliches Handbuch, 2014, Stuttgart: J.B. Metzler (Lizenzausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft), S. 97-141.
Helmut Koopmann (Hrsg.), Thomas Mann Handbuch, Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag, 2005 (ungekürzte Lizenzausgabe der 3. Aufl. 2001 im Alfred Kröner Verlag, Stuttgart).
Klaus Mann, Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht, Berlin/Frankfurt: G.B. Fischer, 1958 (Erstveröffentlichung 1942 udT The Turning Point, deutsch posthum 1952).
Hans Rudolf Vaget, Thomas Mann, der Amerikaner, Frankfurt: S. Fischer, 2011.
Hans Wysling/Yvonne Schmidlin (Hrsg.), Thomas Mann. Ein Leben in Bildern, Zürich: Artemis 1994.
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