Exil: Der ausgewanderte Autor

Ha Jin, Der ausgewanderte Autor. Über die Suche nach der eigenen Sprache, 2008, dt. 2014 (aus dem Amerikanischen von Susanne Hornfeck). Der bei Arche erschienene Band vereint drei Essays des seit 1985 in den USA lebenden Schriftstellers und Professors für Englische Literatur an der Boston University.

IMG_8811

Ha Jin, Der ausgewanderte Autor. | Foto nw2017

Ein Jahr nachdem er zum Studium in die USA gekommen war, wurden die Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens gewaltsam niedergeschlagen. Daraufhin kehrte Ha Jin nicht mehr in seine Heimat zurück. Seit 1997 ist er Staatsbürger der USA.

Es wäre indes verkürzt, Emigration und Exil nur als Zerstörung, Leid und nicht selten auch Tod zu sehen. Sie bedeuteten zugleich neue Erfahrungen und Lernprozesse in den anderen Lebenswelten der Zufluchtsländer, die die Wissenschaften, die Künste und die Literatur beeinflußten und zu neuen theoretischen Anschauungen, methodischen Verständnissen und eigenen künstlerischen wie literarischen Ausdrucksformen führten.

Aus dem Vorwort zum Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933-1945, 2. Aufl. 1998.

Das vorliegende Buch ist keine systematische Untersuchung des Phänomens „Schriftsteller im Exil“, sondern eine essayistische Annäherung, die aber in ihren drei Teilen interessante Aspekte behandelt und mit überzeugend ausgewählten Beispielen unterlegt. Wie der Originaltitel des Bandes – »The Writer as Migrant« – andeutet, geht es nicht nur um Schriftsteller, die geflohen sind oder verbannt wurden. Fremdsein und -bleiben, auch und gerade in der Sprache, könne auch anderen Schriftstellern widerfahren, so die These. Im ersten Essay »Der Sprecher seines Stammes« geht der Autor der Frage nach, in welcher Eigenschaft ein Autor schreibt – neben den Fragen für wen und mit welchem Interesse man schreibe, die wichtigste und schwierigste, so Ha Jin. Könne ein Autor Wortführerschaft reklamieren, sich als Sprecher seines Volkes begreifen und dementsprechende Behandlung erwarten? Dürfe nur ein bereits vor der Auswanderung in seiner Heimat renommierter Schriftsteller diese Rolle beanspruchen oder könne man auch – in der Fremde – in sie hineinwachsen?

Am Beispiel des Russen Alexander Solschenizyn und des Chinesen Lin Yutang, die beide in den USA lebten, untersucht Ha Jin Selbstverständnis, Produktionsbedingungen und Wirkung von Exilschriftstellern. Werden sie im Herkunftsstaat weiterhin gelesen,  gelingt es ihnen, im Aufenthaltsstaat ein Publikum zu finden? Wie kann Literatur über politische Ereignisse handeln, was sollte in Texten bewahrt werden?

Der Schriftsteller sollte demnach mehr sein als nur ein Chronist; er muss auch ein »Former«, ein Alchemist historischer Erfahrungen sein. (S. 46)

Der zweite Essay, »Die Sprache des Verrats«, thematisiert die Frage, in welcher Sprache ein Schriftsteller im Exil schreiben soll, in seiner Herkunftssprache, der des Gastlandes oder einer dritten. In welcher Sprache wird er wo gelesen? Sind seine Texte leicht zu übersetzen, bleibt er in einer anderen Sprache authentisch, gar ein Sprecher seines Volkes? Am Beispiel von Joseph Conrad, der als Pole in England lebte und schrieb,  diskutiert Ha Jin Fragen der Zugehörigkeit und Fremdheit sowie Sprachmächtigkeit in einer fremden Sprache. Vergleichend analysiert er den Sprachgebrauch Nabokovs und geht auch an dessen Beispiel auf die Möglichkeiten und Grenzen der Aneignung der fremden Sprache ein.

In »Die Heimat des Einzelnen« geht es um Reisen, Ankommen und Rückkehren. Ha Jin nennt Beispiele, in denen die Rückkehrsehnsucht das Ankommen verhindert und in Wurzellosigkeit endet; gleichzeitig berichtet er von dem Drang, als erfolgreicher Mensch an seinen Geburtsort zurückzukehren und dort Anerkennung zu genießen. Bereits von Odysseus könne man lernen:

[M]an kann nicht als dieselbe Person an denselben Ort zurückkehren. (S. 96)

Aber braucht es die Rückkehr eigentlich? Kann nicht das gemeinsame Sprechen jenes Geborgensein herstellen? Milan Kunderas Roman »Die Unwissenheit« thematisiere genau dieses Phänomen und lasse, so Ha Jin, ein Heimatland überflüssig erscheinen. Umgekehrt nehme die Zahl der Heimatlosen, der unzugehörig Gewordenen zu – und ihr Ort könne nur die kosmopolitische Großstadt sein. Bei den Verwurzelten,  Lokalen könnten sie weder dort noch hier heimisch werden; zu fremd, zu anders würden sie erfahren.

Erstaunlich ist, daß Ha Jin nur am Rande auf das Exil europäischer Autoren während der NS-Zeit und des Zweiten Weltkrieges eingeht (S. 72: Anton Slominski; S. 112: Isaac Bashevis Singer). Auch fiel mir auf, daß er die jeweiligen Autoren primär als Einzelpersonen und gleichsam isoliert schaffende Künstler begreift. Von der deutschsprachigen Exilliteratur herkommend, bewegte mich u.a. die Frage, ob die künstlerisch-ästhetischen Debatten des Herkunftslandes nachwirken und welche Rolle der Absatzmarkt des Aufnahmestaates spielt? Klar ist, daß drei Essays keine komplexe literaturgeschichtliche Aufarbeitung setzen können, aber der von Ha Jin gewählte Fokus ist am Ende – bei allem Interessanten, was er zu erzählen hat – dann doch sehr konzentriert. Insgesamt ist das Buch aber in jedem Fall lesenswert; ich habe oft einzelnen Abschnitten länger nachgesonnen.

 

 

Dieser Beitrag wurde unter Bücher, Ereignisse, Geschichte, Gesellschaft, Neuerwerbungen abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten zu Exil: Der ausgewanderte Autor

  1. Pingback: Leseliste 2017 – 2 | notizhefte

  2. Pingback: Jahresrückblick 2017 | notizhefte

  3. Pingback: Bekenntnisse eines Bürgers | notizhefte

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..