#LawAndLit: Emilia Galotti

Hier mein Beitrag zu #LawAndLit, der von den Buchbloggern 54books und texteundbilder initiieren Aktion.

Lessings „bürgerliches“ Trauerspiel erschien 1772 und wurde im März des gleichen Jahres in Braunschweig uraufgeführt. Es handelt sich um das Ergebnis einer langjährigen Beschäftigung mit einer römischen Vorlage, der sogenannten Verginia-Legende. Auch hier tötet ein Vater seine Tochter aus Gründen der Ehre.

Lessing plaziert das Thema in die Umbruchssituation, in der höfisch-adelige und bürgerliche Moral- und Ehrvorstellungen aufeinandertreffen. Aus Zensurgründen in eine fiktive italienische Vergangenheit verlegt, behandelt das Stück Fragen der Aufklärung  und Neuorientierung unter den vorrevolutionären Zuständen des Ançien Régime.

Das 1784 uraufgeführte Stück „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller begleitet mich seit der Oberstufe, damals las ich natürlich zum Vergleich auch die ältere Emilia Galotti, aber sie konnte sich nicht gegen Luise Millerin durchsetzen. Im Schultheater war ich alternierend Ferdinand („Du bist blaß, Luise?“) und sein Vater („Wenn ich auftrete, zittert ein Herzogthum!“), bei Lesungen im Deutschunterricht glänzte ich als Hofmarschall („Wenn Sie sich noch des Hofballs entsinnen – es geht jetzt ins einundzwanzigste Jahr – wissen Sie, worauf man den ersten Englischen tanzte, und dem Grafen von Meerschaum das heiße Wachs von einem Kronleuchter auf den Domino tröpfelte – Ach Gott, das müssen Sie freilich noch wissen!“) und als Kammerdiener der Lady Milford („Legt’s zu dem Übrigen!“). Das prägt für ein Leben und macht es dem Lessingschen Text heute noch schwer.

Bei der Lektüre war ich nicht blind für die zahlreichen Anregungen, die Schiller sich recht ungeniert bei Lessing holte; hier zwei Beispiele von vielen:

Lessing: „Waren, die man aus der ersten Hand nicht haben kann, kauft man aus der zweiten: – und solche Waren nicht selten aus der zweiten um so wohlfeiler.“

Schiller: „Dummer Teufel, was verschlägt es denn Ihm, ob er die Karolin frisch aus der Münze oder vom Bankier bekommt.“

Lessing: „Die wenigen Schritte…“ – „Einer ist genug für einen Fehltritt!“

Schiller: „Ein Mal für alle Mal! Der Handel wird ernsthaft. Meine Tochter kommt mit dem Baron ins Geschrei. Mein Haus wird verrufen.“

Während in beiden Fällen die Mutter vom Werben des hochgestellten Mannes entzückt ist, hat der Vater Bedenken; seine Aufgabe ist es jeweils, die Ehre der Tochter zu bewahren, um sie dem Ehemann rein zu übergeben.

Immer aber wirkt Lessing auf mich galanter, zarter, andeutender. Und die mächtigeren Sprachbilder findet Schiller. Und er spitzt den Gegensatz zu: Millers sind arme Bürgersleute, Galottis sind kleine Adelige, deren Tochter den Grafen Appiani heiraten soll und diesen ja auch liebt. Sie trifft dann die prinzliche Begierde. Luise und Ferdinand hingegen sind über alle Standesschranken füreinander bestimmt: „Dieses Weib ist für diesen Mann!“

Worum geht es nun bei Emilia Galotti?

Der Prinz hat sich in Emilia verliebt, diese ist dem Grafen Appiano versprochen und die Hochzeit steht unmittelbar bevor. Der Kammerherr Marinelli läßt Emilia entführen, dabei wird Appiano getötet, Emilia wird in das Lustschloß des Prinzen gebracht. Die Eltern der Emilia und eine verlassene Favoritin treffen aufeinander, der Prinz und Marinelli – der anders als Wurm keinen Nebenbuhler ausstechen will – bekommen keine rechte Erklärung hin, dem Vater Galotti bleiben Zweifel. Am Ende ersticht er seine Tochter.

Lessing läßt Galotti den Prinzen einen Wüterich nennen. Bei Schiller sagt das Wilhelm Tell über den Vogt Geßler. Frappierend auch dies!

„Wer kein Gesetz achtet, ist ebenso mächtig, als wer kein Gesetz hat.“ (EG, 5.4) Resigniert hier das Recht vor der Macht? Eher resigniert der rechtsunterworfene Bürger, dem selbst ein unwahrscheinlicher Erfolg der Rechtsdurchsetzung wenig gilt angesichts des echten oder vermeintlichen moralischen Schadens. Die Emanzipation des Rechts von bestimmten gesellschaftlich-kirchlichen Moralvorstellungen beseitigt eine Fessel, die der Selbstverwirklichung des Individuums auferlegt war. Sie bedeutet nicht die gleichzeitige Überwindung von Machtgefällen und instrumentalisierenden Zugriffen auf das Recht.

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3 Antworten zu #LawAndLit: Emilia Galotti

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