Es weht ein scharfer Wind an diesem Sonntag im Januar 2014, als ich mich zur Berlinischen Galerie aufmache. Kommt der Winter nun doch und bringt die Kälte, die in Skandinavien und über Polen und Rußland schon bereitliegt, in die Häuserfluchten Berlins?
Berlin ist der zweite Teil des Ausstellungstitels „Wien Berlin. Kunst zweier Metropolen. Von Schiele bis Grosz“. Wien und Berlin, beides Kaiserstädte bis 1918, beides am Ende des 19. Jahrhunderts Labore der künstlerischen Moderne – und doch haben die Städte sich diesem Zustand von unterschiedlichen Ausgangspunkten genähert. Die vormals preußische Residenz wird erst nach der Reichsgründung 1871 langsam zur europäischen Metropole, ohne freilich je die Konzentration aller Kräfte zu erreichen, wie dies Paris, London oder eben auch Wien schon lange gelingt.
Der Kunstgeschmack wird seit 1888 von Kaiser Wilhelm II. geprägt, dem der vielzitierte röhrende Hirsch auf der Leinwand ebenso gefiel, wie wenn er ihm vor die Flinte getrieben wurde. Ab 1896 ist Hugo von Tschudi Direktor der Nationalgalerie und erwirbt zeitgenössische, moderne französische Malerei – Stoff für eine Kontroverse, die 1909 mit dem Weggang Tschudis nach München beendet wurde und in der Folge dort zu spektakulären Erwerbungen führte. 1899 verfügt Wilhelm II. in einem Erlaß, daß alle Erwerbungen und die Annahme von Schenkungen seitens Privater durch ihn zu genehmigen seien – was den Handlungsspielraum des Direktors zwar einschränkte, aber Erwerbungen französischer Gemälde eben auch nicht ausschloß (Peter-Klaus Schuster weist im Katalog „Manet bis van Gogh – Hugo von Tschudi und der Kampf um die Moderne“ auf eine gleichwohl bestehende Liberalität des preußischen Staates wie des Kaisers persönlich hin).
In Berlin hatte es die Gossenkunst – so der Kaiser – schwer und fand in der Akademie keine Anerkennung. Die erste Ausstellung der Berliner Secession griff dies in dem auch in der Berlinischen Galerie gezeigten Plakat auf und stellte die blühende Zukunft der Gossenkunst der verdorrten Akademiekunst gegenüber. Die Wiener Secession (1897) und die Berliner Secession (1898) und ihre Künstler sowie das intellektuelle Umfeld, die Kaffeehäuser, Verlage, Plakate, Zeichnungen, Drucke und Gemälde markieren den Ausgangspunkt der Ausstellung, die auch den Ersten Weltkrieg und die Zeit der Weimarer Republik abdeckt.
Die Ausstellung präsentiert rund 200 Werke, darunter viel Altbekanntes von Schiele, Kokoschka, Klimt, Liebermann, Slevogt, Oppenheimer und Kirchner, aber auch der Künstlerinnen Hannah Höch, Erika Giovanna Klien, Broncia Koller-Pinell und Jeanne Mammen.
Interessant ist, daß die Zusammenschau von Wien und Berlin in dieser Form erstmals unternommen wurde; Wien-Paris und Berlin-Moskau beispielsweise hatte es schon gegeben. Ich fand den Besuch trotz des großen Andrangs lohnend.
Danke für den Hinweis auf den Beitrag.
Der Kaiser war eben auch nur ein Kind seiner Zeit. 🙂
Pingback: Zeitenende – Zeitenwende | notizhefte