Zeitenwende: Berliner Secession

Zwei Jahre nach  nach dem Besuch der Ausstellung im Bröhan-Museum nahm ich mir nun – banalerweise angeregt durch das In-die Hand-nehmen beim Staubwischen – den schönen Katalog, der bei Hirmer erschienen ist, zur Lektüre vor: Tobias Hofmann (Hrsg.), Zeitenwende. Von der Berliner Secession zur Novembergruppe 1898 bis 1919, 2015, 272 Seiten.

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Ausstellungskatalog: Zeitenwende | Foto: nw2017

Zwischenzeitlich habe ich weitere Ausstellungen besucht und passende Bücher (etwa „Zeitenende – Zeitenwende“) gelesen, um die informativen Texte besser würdigen und mit meinem Leseprojekt »Umbruch« in Beziehung setzen zu können.

Denn es ist eine schrille Dissonanz in unserer nationalen Entwicklung, wenn wir gute Kanonen bauen und gleichzeitig schlechte Bilder malen. Aber nicht nur gemalt werden schlechte Bilder, sie werden auch gelobt, geliebt und – bezahlt. (Franz Servaes, Der Berliner Kunstfrühling, 1898, S. 34; im Katalog S. 19f.)

Der 1898 gegründeten Berliner Secession gehören vier Frauen an: Sabine Lepsius, Dora Hitz, Ernestine Schulze-Naumburg und Julie Wolfthorn.

Stilistisch und programmatisch ist die Gruppe inhomogen: ihr gehören alte und junge Künstler an, die für verschiedene Richtungen stehen, die Avantgardisten sind nicht unter sich. Dementsprechend kommt es rasch zu Neuformationen und Abspaltungen, von denen der Katalog einige behandelt, andere, wie etwa der 1905 in Dresden erfolgte Zusammenschluß »Die Brücke« werden nur am Rande erwähnt und sofern es konkreten Bezug zur Berliner Secession gibt.

Die später als in Wien, Düsseldorf oder München erfolgte Berliner Secession etabliert die Stadt als Kunstmetropole, die fortan ein wichtiger Arbeitsort wird und als Museums- und Ausstellungsstadt an Format gewinnt. Die Metropole Berlin als Labor der Moderne wird aber auch zum Gegenstand der Malerei; thematisiert werden die zunehmenden Veränderungen, die damit verbundenen Chancen und Gefahren sowie die daraus resultierende Einsamkeit und Ungewißheit.

Impressionismus und Symbolismus nehmen die Landschaft auf eine neue Weise in den Blick, aber auch Künstlerportraits und Straßenszenen zeigen eine neuartige Weltsicht. Fin-de-siècle-Stimmung trifft auf Fortschrittsgläubigkeit, Röntgen und Freud öffnen Leib und Seele, die Eulenburg-Affäre um Homosexualität und „Verweichlichung“ in höchsten Regierung- und Gesellschaftskreisen zeigte Doppelmoral und schließlich der Erste Weltkrieg erschütterte die scheinbar so festgefügte Welt, wie sie Stefan Zweig beschrieben hatte. Tatsächlich war diese Welt schon in hoher Beschleunigung und Mobilität begriffen (Philipp Blom), eine Dynamik, die sich nach 1918 fortsetzen sollte. Die Arbeiterklasse rückt stärker in den Blick.

Die Darstellungsformen wandeln sich. Die Berliner Secession wird etablierter und selektiver, eine neue Generation von Malern, deren Bilder nicht zur Ausstellung des Jahres 1910 zugelassen werden, vorwiegend Expressionisten, gründen die Neue Secession, darunter die Maler der »Brücke« und des (erst später gegründeten) »Blauen Reiters«. Die Kritik reagiert zunächst hilflos bis ablehnend und die Öffentlichkeit ist überwiegend schockiert.

Die informativen Texte des Katalogs Zeichen das verschlungene Auf und Ab der Bewegungen, Trennungen und Vereinigungen im Detail nach und unterstreichen das Ringen um Modernität und den Anschluß an die europäischen Entwicklungen und Debatten. Die Umstrittenheit von Matisse etwa (S. 140f.) zeigt die gegenläufigen Kräfte, die sich aus künstlerischen Anschauungen, patriotischen Motiven und materieller Konkurrenz speisten.

Kapitel zum Ersten Weltkrieg und dem Wandel von Begeisterung zu Entsetzen sowie zur anschließenden Revolutionszeit runden den lesenswerten und zum Betrachten einladenden Band ab.

 

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