Pompeji: Die Farblitographien der Brüder Niccolini

Fausto & Felice Niccolini, Houses and Monuments of Pompeii. The Complete Plates. Mit Beiträgen von Valentin Kockel und Sebastian Schütze. Köln: Taschen, 2016, 648 Seiten.

Es ist ein richtiges Unboxing, das ich vollziehe – freilich ohne laufende Videokamera –, als das Paket mit dem mir freundlicherweise vom Taschen-Verlag zugesandten Besprechungsexemplar ankommt, und an dessen Ende ich staunend mit einem schwergewichtigen und großformatigen Prachtband dasitze.

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Unboxing Pompeji, Taschen Verlag | Foto: nw2017

Bei einem Ausbruch des Vesuv im Jahre 79 n. Chr. waren die Städte Herculaneum, Stabiae und Pompeji zerstört und gleichzeitig unter der erkalteten Lava langfristig konserviert worden. Bei Baumaßnahmen für ein neues Schloß des Königreichs Neapel stieß man in den 1730er Jahren auf die Ruinen und begann im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts mit Ausgrabungen. Diese erfolgten noch nicht systematisch, entwickelten sich aber bereits damals zu einem touristischem Anziehungspunkt – freilich nach den seinerzeitigen Gegebenheiten. Erst in napoleonischer Zeit begannen systematischere Arbeiten, die wichtige Entdeckungen zutage förderten und im Königreich beider Sizilien (ab 1816) mit großem Prestigebewußtsein fortgesetzt wurden, wie später (ab 1860) auch im Königreich Italien.

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich auch eine durchgängige wissenschaftliche Dokumentation durch Pläne und Kopien der Wandmalereien, deren Originale häufig ausgeschnitten wurden und als Gemälde in Museen kamen. Hinzu kamen Modelle und später Photographien. Wissenschaftliche Publikationen und Publikumsveröffentlichungen nahmen zu, darunter die »Case e monumenti«, begonnen 1822 von Antonio Niccolini, vollendet 1857 von seinen Söhnen Fausto und Felice.

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Foto: nw2017

Diesen Farblithographien, ihrer Geschichte, kunsthistorischen Bedeutung und der Wirkung auf den Betrachter ist der opulente Band gewidmet. Valentin Kockel schreibt über „Die Wiederentdeckung und Visualisierung Pompejis“, Sebastian Schützes Beitrag trägt den Titel „Rom ist nur ein ausgedehntes Museum; Pompeji ist eine lebendige Antike“. Beide Texte sind jeweils in deutscher, englischer und französischer Fassung abgedruckt.  Danach folgen über fünfhundert Seiten mit „Tafeln und Erläuterungen“, in die auch einige ausführlichere Erläuterungen eingestreut sind; ebenfalls alles dreisprachig. Ein wissenschaftlicher Apparat beschließt das großformatige Werk.

Kockel zeichnet in seinem Beitrag die Grabungsgeschichte in Pompeji und die Entstehungsgeschichte der Farblithographien nach. Seine kulturhistorische Analyse zeigt die Bedeutung staats- und kulturpolitischer Rahmenbedingungen für das Reifen und die Durchführung archäologischer Projekte. Wissenschaftsgeschichtlich interessant sind auch die Ausführungen zu den Forschungsmöglichkeiten und zur Veröffentlichungspraxis. Deren zeitgenössischer Gipfel wird mit den »Häusern und Monumenten« erklommen, obwohl diese Fragment geblieben sind. Die Beschreibung (S. 39ff.) zeichnet den Aufbau des Werkes nach und nennt, soweit möglich, die beteiligten Autoren und Künstler.

Ärgerlich ist, daß im ersten Text in allen drei Sprachfassungen gegen Ende auf Abbildung Nr. 17 verwiesen wird, aber Abbildung Nr. 8 gemeint ist. Auch im zweiten Text ist mir so etwas aufgefallen; hier wird gleich im ersten Absatz auf ein Porträt Karls III. verwiesen, das als Abbildung 15 zu finden sein soll, tatsächlich ist die Abbildung mit der Nummer 5 im ersten Text auf Seite 15 zu finden.

Der Beitrag von Sebastian Schütze vergleicht Pompeji und Rom; sein Titel ist einer zeitgenössischen Reisebeschreibung entlehnt. In ihm kommt der Paradigmenwechsel zum Ausdruck, Pompeji nicht länger als Fundort für interessante Kunstschätze zu betrachten, sondern als ganzheitlichen Stadtraum zu begreifen, der eine einzigartige Zeitreise ermöglicht und den „Dialog mit der Ewigkeit“ in frischerer und unmittelbarer Weise als damals üblich eröffnete. Gleichzeitig wurde der bestens konservierte Stil schnell modern und in ganz Europa nachempfindend übernommen. Private Häuser erhielten „pompejanische“ Zimmer, Ludwig I. von Bayern ließ ein sogenanntes Pompejanum in der Nähe von Aschaffenburg errichten. Vergleichbar war der Nachbau einer pompejanischen Villa in Paris, die heute nicht mehr existierende Maison Pompeiénne. Noch J. Paul Getty ließ sich 1974 in Los Angeles eine Villa errichten, die solche Vorbilder aufgriff. Aber nicht nur in Architektur und Raumausstattung, sondern vor allem in der Malerei waren die Nachwirkungen der wiederentdeckten antiken Malerei groß.

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Foto: Verlagswebseite

Das Buch ist aber nicht nur Medium für interessante Texte, sondern vor allem für hunderte von Abbildungen. Kleine, ganz- und sogar doppelseitige Abbildungen in großartiger Qualität zeigen vor allem Mosaiken und Wandmalereien, aber auch Impressionen des 19. Jahrhunderts in der pompejanischen Ruinenlandschaft. Außerdem finden sich Abbildungen von Kunstwerken des 19. und 20. Jahrhunderts, die die zuvor unbekannten Anregungen der Kunst von Pompeji aufgreifen. Der prächtige Band hat seinen Preis (150,- €) und wird somit etwas besonderes im heimischen Bücherregal bleiben – und ist tatsächlich auch für die meisten Coffeetables recht groß. Gleichzeitig ist es ein Verdienst, die Bilder erneut zugänglich gemacht zu haben und wissenschaftlich fundiert über ihre Entstehung im Zuge der Ausgrabungen zu informieren.

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3 Antworten zu Pompeji: Die Farblitographien der Brüder Niccolini

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  3. kai bremer schreibt:

    Stark! Habe nach Weihnachten Beards Pompeji-Buch gelesen, das war mir zu flapsig geschrieben, obwohl es die Geschichte der Stadt großartig entfaltet. Dieser Band hier macht große Lust, sich noch mehr mit Pompeji zu befassen.

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