
Peter Neumann, Jena 1800. Die Republik der freien Geister | Foto: nw2019
Peter Neumann, Jena 1800. Die Republik der freien Geister, München: Siedler, 2018, 219 Seiten plus 35 Seiten Apparat.
Schade. Schade. Dreimal schade. Im übelsten Relotius-Stil wird hier popliterarischer Sprachkitsch über ein hochinteressantes Thema gegossen. Reißerische Passagen, flotte Charakterisierungen und ein hohes Erzähltempo sollen offenbar heutigen Lesern die Figuren von 1800 nahebringen. Fritz und Wilhelm, Caroline und Dorothea sowie Auguste – mit ihnen verbindet uns der Autor in jugendlicher Nähe, alle anderen werden durch Nachnamen auf Distanz gehalten und müssen sich auch die eine oder andere Bloßstellung gefallen lassen.
Insbesondere der Beginn ist von anstrengender Munterkeit und ermüdender Flottheit – dabei wäre all das gar nicht nötig, ist der Gegenstand des Buches doch per se interessant, farbig und geschichtlich bedeutsam. Warum Neumann derart die Backen aufbläst, bleibt mir ein Rätsel. Auf der Umschlagseite gibt es freilich Lob: „So klug und farbig muss Geistesgeschichte geschrieben werden.“ „Große Erzählkunst“
Mein Geschmack ist das nicht. Immerhin nimmt Neumann zwischendurch das Tempo etwas heraus und enthält sich der auffälligsten Grellheiten, aber der flott-frische Erzählton bleibt erhalten. Die kurzen Abschnitte über Philosophie, die immer wieder eingestreut werden, sind demgegenüber wohltuend sachlich.
So bleibt die Freude über interessante Details. Dies gilt etwa für die zwei Seiten über die Jungfer Wenzel, eine Botenfrau, die zweimal die Woche zwischen Jena und Weimar hin- und herläuft, Briefe und Pakete befördert und so den Rhythmus der Kommunikation mitprägt (S. 96ff.). Erwähnenswert auch die Debatte über das korrekte Datum der Jahrhundertwende, bei der sich die Verfechter der Jahreswende 1800/1801 durchsetzten – nicht zuletzt, weil das preußische Königshaus das Jubiläum von 1701 angemessen begehen wollte.
Auch der Anhang ist nützlich, mit Skizzen der weiteren Lebenswege der Protagonisten, Erläuterungen und Literaturhinweisen.
Der Stil des Buches ist – auch jenseits der generellen Grellheit – nicht immer überzeugend:
Die Betriebstemperatur ist hoch. Ideen drängen sich auf und verflüchtigen sich. Die Zeit zerläuft wie eine Butterflocke in der Pfanne. (S. 104)
Unklar bleibt auch, was aus Tagebüchern oder Briefen der Protagonisten stammt, was Erinnerung von Zeitgenossen und was Zitat oder Paraphrase aus den Werken ist.
Mein Fazit: Ein interessantes Buch, aber für meinen Geschmack stilistisch völlig entgleist.
„Die Zeit zerläuft wie eine Butterflocke in der Pfanne.“ – Da muss man erst einmal drauf kommen! Dass mir das nicht eingefallen ist… Ärgerlich.
😉
Als Frühromantik-Fan habe ich mich sehr auf dieses Buch gefreut, als ich es in den Vorschauen gesehen habe, war dann aber ähnlich enttäuscht.
Ich bezweifele stark, daß man so neue Leser für das Thema begeistert.
Oje, das ist unfreiwillig komisch! Ich kann es auch nicht leiden, wenn ein Autor so gewollt salopp daherkommt. Schade, das Thema ist wirklich interessant.
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