Madeleine Albright: Faschismus

Madeleine Albright, Faschismus | Foto: nw2019 #Politik #Sachbuch

Madeleine Albright, Faschismus | Foto: nw2019

Der Titel sagt alles: »Faschismus. Eine Warnung« – in ihrem neuen Buch setzt sich die frühere Außenministerin der USA und Holocaust-Überlebende, Madeleine Albright, mit dem Wiedererstarken autoritärer und populistischer Regierungen auseinander.

Geschichte des Faschismus

Italien stand kurz vor dem staatlichen Zerfall. Das Parlament galt selbst seinen Mitgliedern als korrupter Basar, auf dem Gefälligkeiten an jene verteilt wurden, die über politische und gesellschaftliche Beziehungen verfügten. König Vittorio Emanuele war schwach, ängstlich und unentschlossen. In den 22 Jahren seiner Regentschaft hatte er nicht weniger als 20 Premierminister kommen und gehen sehen. Die führenden Politiker lagen unablässig miteinander im Streit, hatten aber so gut wie jeden Kontakt zur Bevölkerung verloren. Vielen schien die Zeit reif für eine wirkliche Führungsperson, für einen Duce, der Italien wiedervereinigen und das Land erneut zum Mittelpunkt der Welt machen konnte. (S. 29)

Das Buch bietet zu Beginn einen kurzen Abriß darüber, wie in vielen europäischen Ländern faschistische Bewegungen und Parteien entstanden und in einzelnen Ländern dann auch an die Macht kamen. Dabei versucht Albright zumindest kurz zu analysieren, warum manche dieser Bewegungen nicht an die Macht gelangten. Sie wirft auch einen Blick auf die UdSSR unter Stalin und jene Kommunisten, die in seinem Fahrwasser Mitteleuropa unterwarfen – und die Familie der Autorin zum zweiten Mal aus der Tschechoslowakei vertrieben.

Das alles wird kurz abgehandelt; auf S. 95 sind Hitler und Mussolini tot, auf S. 106 erhält Albrights Familie Asyl in den USA. Das erste Drittel des Buches erzählt also eine bekannte Geschichte. Das hat man anderswo natürlich schon ausführlicher, aber auch substantieller gelesen. Albright gibt hier einen einführenden Überblick, der den gesicherten Forschungsstand mitunter sehr vereinfachend zusammenfaßt. Für die Zwecke ihres Buches ist das aber auch völlig ausreichend, geht es ihr doch darum, vor der Wiederkehr des Faschismus in der Gegenwart zu warnen bzw. aufzuzeigen, wo wir in dieser Hinsicht heute stehen.

Die Welt nach Hitler

Es schließt sich eine Darstellung der Nachkriegsordnung an – von Anbeginn an versehen mit Warnungen, diese nicht als selbstverständlich anzusehen. Prägnant skizziert sie die Periode des McCarthyismus und hält fest:

McCarthys Karriere zeigt, wie viel Hysterie ein geschickter und schamloser Tatsachenverdreher erzeugen kann, vor allem wenn er behauptet, für eine gerechte Sache zu kämpfen. Denn wenn der Kommunismus das nicht mehr zu überbietende Böse ist, dann darf man doch für den Kampf gegen ihn vieles aufs Spiel setzen, sogar die Objektivität und die herrschende Moral, oder etwa nicht? (S. 112)

Es überrascht nicht, daß sie sich als Anhängerin des liberalen Institutionalismus zu erkennen gibt. Freimütig bekennt sie, daß die hochgespannten Erwartungen der Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sich nicht erfüllt haben, auch durch Fehler des Westens und der USA. Das Projekt Demokratisierung an sich sei aber noch lange nicht gescheitert.

Heutige Problemfälle

Milosevic, Chavez/Maduro, Erdogan, Putin, Orban – die Liste von Regierungschefs und Staatspräsidenten, die ihre Macht ausbauen, demokratische und zivilgesellschaftliche Kontrollmechanismen zurückdrängen und ihren Völkern Schutz vor einem äußeren oder inneren Feind versprechen, ist lang. Besonders bedrückt es die stolze Bürgerin der USA, daß sie den 45. Präsidenten ihres Landes hinzufügen muß. Illiberale Demokratie, gleichgeschaltete Medien, eine auf Linie gebrachte Justiz, identitäre Ideen – dies anzustreben oder bereits umgesetzt zu haben, verbindet die genannten Männer in den Augen der Autorin.

Die Europäische Union werde von einer wachsenden Zahl von Menschen als bürgerfern und nicht hinreichend demokratisch legitimiert empfunden, konstatiert Albright. Dies befördere nationalistische Parteien ebenso wie die Flüchtlingskrise des Jahres 2015, die Parteien wie der AfD und vergleichbaren Gruppierungen in anderen europäischen Ländern in die Hände gespielt habe.

Ein länglicher Diskurs zu Nordkorea ermöglicht Albright Ausführungen über die amerikanische Außenpolitik, ihre eigenen Bemühungen als Außenministerin und mögliche weitere Entwicklungen. Später (S. 287) bezeichnet sie Kin Jong-un als den einzigen echten Faschisten im Kreise der von ihr behandelten Staatenlenker.

Der Abschnitt über Donald Trump wird mit Beispielen für dessen Vorliebe für Diktatoren  und Autokraten eröffnet und wendet sich dann dessen politischer Rhetorik und ihren Auswirkungen zu. Als Patriotin ist sie bedrückt über die Ergebnisse seiner Politik und über das verminderte Ansehen der USA unter Präsident Trump. Vor allem ist sie über die Langzeitwirkung seiner Entscheidungen und Haltungen auf die internationale Ordnung besorgt.

Perspektiven

Wir sind noch nicht an dem von Primo Levi angesprochenen kritischen Punkt, aber all diese Zeichen fühlen sich an, als seien wir zurück auf dem Weg in eine Zeit, als der Faschismus reichen Nährboden fand und menschliche Tragödien millionenfach an der Tagesordnung waren (S. 262)

Sie überlegt, ob Populismus automatisch zum Faschismus führen müsse, verneint dies und begründet es mit einem unscharfen und uneinheitlich verwendeten Populismusbegriff (S. 263ff).

Tatsächlich stellen die Eliten eine weitaus größere Gefahr für die Freiheit dar als Populisten, aber keiner der Begriffe ist präzise, und beide wurden so gründlich missbraucht, dass sie inzwischen so gut wie inhaltslos sind. Die Themen, die uns hier beschäftigen, müssen wir exakter umgrenzen. (S. 267)

Erst die Bereitschaft, alles zu tun, was nötig ist, um sich durchzusetzen – einschließlich Gewaltanwendung –, mache eine Bewegung faschistisch. Wirklichen Erfolg erlangt eine solche Bewegung nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts erst, wenn sie durch reiche und einflußreiche Kreise unterstützt werde.

In jedem Fall fänden schleichende Veränderungen statt, die man im Alltag kaum wahrnehmen könne, deren Ausmaß aber nach einiger Zeit – wenn es schon zu spät sein könnte – wahrnehmbar werde.

Einschätzung

Die Botschaft des Buches lautet, daß es noch einmal gutgehen kann, wenn die Menschen guten Willens couragiert zusammenwirken und diejenigen, die nicht so guten Willens sind, ihren bösen Absichten wenigsten keinen allzu freien Lauf lassen. Hierfür sieht Albright Chancen, aber natürlich auch Risiken. Mit George W. Bush plädiert sie für Kompromißbereitschaft und ergänzt die Notwendigkeit von internationaler Zusammenarbeit.

Eine besondere Gefahr sieht sie darin, daß es heute eine Reihe von autoritären und illiberalen Staats- und Regierungschefs gibt, die einander beobachten und nachahmen. So wie einst Mussolini für Hitler dienten heute Putin und seine Kollegen sich wechselseitig als Vorbilder für dasjenige, was möglich sei (S. 287). Daß ein US-Präsident sich in diese Gruppe einordne, sei besonders gefährlich.

Ein durchaus lesenswertes Buch, das letztendlich aber seine eigentlichen Adressaten gar nicht erreicht, sondern wohl nur von denjenigen gelesen wird, die die Sorgen der Autorin teilen.

Madeleine Albright, Faschismus. Eine Warnung, 2018 (dt. 2018, aus dem Englischen von Bernhard Hendrike und Thomas Wollermann), Büchergilde Gutenberg, 319 Seiten.

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