
Joachim Fest, Begegnungen | Verlagswebseite
Joachim Fest, Begegnungen. Über nahe und ferne Freunde, 2004, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Mein Exemplar trägt den Eintrag 18. Dezember 2004, es entstammt bereits der dritten Auflage. Fest (1926-2006), der seit der Hitler-Biographie (1973) aus vielen unterschiedlichen Perspektiven Bücher zur deutschen Geschichte geschrieben hatte, war im Jahr 1999 mit seinem Buch über Albert Speer und 2002 mit »Der Untergang. Hitler und des Ende des Dritten Reiches« erneut zu einem Bestsellerautor geworden. Seine Memoiren »Ich nicht – Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend« erschienen kurz nach seinem Tod, im Jahr darauf die späten Essays »Bürgerlichkeit als Lebensform«. Die in dem Band »Begegnungen« versammelten Texte beruhen im wesentlichen auf Ansprachen und Würdigungen, wurden verschriftlicht, teils um frühere – aus Zeitgründen erfolgte – Kürzungen ergänzt und überwiegend erstmals veröffentlicht.
Es handelt sich um Porträts von zwölf Männern und zwei Frauen, allesamt Menschen, die im Deutschland der Kriegs- und Nachkriegszeit eine Rolle gespielt haben. Eingeleitet aber wird das Buch mit der »Skizze über einen Deutschlehrer«, der den Schülern in einer Flakstellung nahe Friedrichshafen die deutsche Literatur nahebrachte, sie zum Zweifeln anhielt und vor Leichtsinn warnte. Auf diesen wenigen Seiten gelingt Fest ein dichtes Porträt dieses unbekannten Mannes, den er mit Literatur und Kultur generell verbindet und als deren Botschafter auf die Jungen wirken läßt.
Dies erreicht er auch mit den Betrachtungen über Sebastian Haffner, Johannes Groß, Dolf Sternberger, Wolf-Jobst Siedler, Hans Pels-Leusden (ein Berliner Kunsthändler), Arnulf Baring, Hannah Arendt, Golo Mann, Ulrike Meinhof, Horst Janssen, Joachim Kaiser, Hugh R. Trevor-Roper, Rudolf Augstein und (den Schauspieler) Henning Schlüter.
In sämtlichen Texten geht es viel um Literatur, um Politik, um Haltungen. Alle haben „die Hitlerjahre“ und den Krieg erlebt, auch die jüngeren: Meinhof wurde 1934 geboren, Groß 1932. Das Buch erlaubt Blicke in eine Welt, in der viel, unendlich viel gelesen wurde und man – brieflich und mündlich – über das Gelesene diskutierte, sich positionierte, in Debatten, bei Entscheidungen, beruflich wie privat. Begegnungen ergeben sich zufällig oder werden herbeigeführt, Kontakte werden bewußt gehalten oder bleiben sporadisch, der Austausch, der sich ergibt, ist jeweils intensiv – im Gleichklang, in der Reibung, im Widerspruch.
Das alles ist hochinteressant, menschlich wie zeitgeschichtlich, und es ist in einer Sprache geschrieben, die jedenfalls mir die Lektüre zu einer echten Freude werden läßt. Es ist dies ein Buch, das ich oft und gerne zur Hand nehme, reich an Details über die Porträtierten, reich an Kultur, die ihren Platz im Leben hat und gleichzeitig für etwas Hehres steht. Das Buch kündet von einer bürgerlichen Welt, die ungeachtet ihrer Traditionen, Haltungen und Werte im entscheidenden Augenblick versagt hat, und von Menschen, die um dieses Versagen wissen, daran leiden und zum Teil auch verzweifeln, die dagegen anarbeiten und die hoffen, daß ihr Wirken und das vieler anderer die erhoffte Wirkung hat.
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