Willem Frederik Hermans, Unter Professoren, 1975, dt. 2016 (Übersetzung aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen und Barbara Heller), Berlin: Aufbau Verlag, 508 Seiten plus viereinhalb Seiten Nachwort.
„Ein Fest der Niedertracht“, so steht es hinten auf dem Schutzumschlag und daß, wer in den Niederlanden promoviere, diesen Klassiker geschenkt bekomme. Nun, ob das Buch in seiner Zeitbezogenheit heute noch praktische Relevanz besitzt, mag man mit dem Rezensenten bezweifeln. Die Gruppen- und Gremienuniversität ist seit Jahrzehnten Alltag und hat ihren revolutionären Schrecken, der Hermans‘ Schilderung durchzieht, längst eingebüßt. Bologna, Modularisierung und Akkreditierung sind die Fanale der Gegenwart, Safe spaces, Triggerwarnungen und Critical Whiteness die heutigen Aufregerthemen.
Aber die Geschichte ist uns zeitlich näher als, sagen wir, »Professor Unrat« und weniger zeitgeschichtliche Abrechnung denn amüsierende Milieustudie. Und so liest sich die Geschichte über den überraschenden Nobelpreis und seine Auswirkungen in dem gemäßigt revolutionären Klima einer bevorstehenden Institutsbesetzung als gut geschriebene Reminiszenz. Es wird viel geraucht und den Frauen kommt nur eine Nebenrolle zu. Die Figuren sind typisiert, streifen mitunter, nein oft die Grenze zur Karikatur und machen keine Entwicklung durch.
Meinema trug einen roten Cordanzug, ein himmelblaues Hemd und eine schwarze Häkelkrawatte aus sehr dicker Wolle. Solche Dinge waren, wie er wusste, psychologisch äußerst wichtig. (S. 214)
Prustend gelacht habe ich bei dieser Stelle:
In der Brusttasche seines Jacketts steckten deutlich sichtbar vier billige Kugelschreiber und ein Rotstift. Er erinnert an einen Ladenschwengel, der jeden Augenblick damit rechnet, einen Auftrag notieren zu müssen, und ständig in der Furcht lebt, gerade dann kein Schreibgerät zur Hand zu haben. (S. 222)
(Das liegt aber daran, welcher Großordinarius alten Schlages mir vor drei Jahren eine Geschichte erzählt hat, in der ein Ladenschwengel vorkam.)
Und irgendwie geht es natürlich auch immer um Ehepaare und um Sex.
Der lachende Ongering hatte sich die lachende Gonnie angeschaut und festgestellt, daß sie ein künstliches Gebiss hatte. Gefärbte Haare und ein künstliches Gebiss. Hm, hm. Das gab einem doch zu denken. Aber war eine Frau mit künstlichem Gebiss und gefärbten Haaren nicht besser als eine Frau, die sich zu jung fühlte, um sich die Haare konsequent zu färben, und die zwar noch ihre eigenen Zähne hat, aber solche, die aufgrund ihres Alters zu weit aus den Kiefern herausgewachsen und voller Plomben sind? (S. 247)
Alle sehr standen jetzt am Fenster. Ongering hatte sich halb hinter Gonnie postiert. Er wollte ihren Po befühlen, aber sein dicker Bauch war ihm im Weg: Er hätte sie Hand viel zu weit vorstecken müssen. (S. 259f.)
In Gesprächen zwischen vier Professorenehepaaren kommen die Widrigkeiten des Ehelebens ebenso zur Sprache wie berufliche und erotische Wünsche und Weltsichten. Freilich erscheint ein spätabendlicher Besuch im örtlichen Sexclub arg an den Haaren herbeigezogen. Insgesamt fabuliert der Autor ziemlich drauf los und fügt skurrile Szenen volle Situationskomik aneinander. Die Institutsbesetzung und die gesprengte Feier geraten zur Farce, ein Urlaub der Protagonisten erinnert stellenweise an Tourismuswerbung.
Mein Fazit:
Auch wenn Cees Nooteboom auf dem Schutzumschlag mit der Anmerkung zitiert wird, daß ohne Hermans die Niederländische Literatur nicht denkbar sei, so halte ich das Buch nicht für eines, das man unbedingt lesen muß. Wenn man es tut, wird man jedoch gut unterhalten werden.
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