Nun, da ich nicht mehr aus beruflicher Veranlassung regelmäßig nach Hamburg pendele, braucht es dann doch eben Anlässe, um die Stadt an Elbe und Alster zu besuchen. Ein Vortrag über die Vereinten Nationen an der Führungsakademie der Bundeswehr bot diesen willkommenen Anlaß.
Den Freitagnachmittag verbrachte ich dann zunächst in der wunderbaren Buchhandlung Felix Jud, wo ich günstig die zweite Auflage von Kestings „Die großen Sänger“ erstand und ob des Gewichts von 7 kg um postalische Zusendung bat. Gegenüber der 1986 erschienen Erstauflage, die sich seinerzeit unter dem Weihnachtsbaum fand, um einen Band angewachsen, hat Kesting eine Sängergeneration abschließen, eine weitere komplett behandeln und den Ausblick auf eine dritte hinzunehmen können.
Ein wesentlich leichteres Büchlein nahm ich in der Manteltasche mit: Ulrich Weinzierls „Hofmannsthal, Skizzen zu seinem Bild“, 2005, als Fischer Taschenbuch 2007.
Das erschien mir als passende Ergänzung zu dem kürzlich gekauften Band „Gedichte und Prosa“. Der Eindruck nach den ersten fünfzig Seiten ist sehr gut. Das Buch ist anregend geschrieben, arbeitet mit breitem Quellenmaterial und gerade das Eingangskapitel über „Das Phantasma des jüdischen Blutes“ zeigt die Absurdität all dieser biologistisch-rasseideologischen Argumentationen.
Auf den Fortgang der Darstellung bin ich gespannt und freue mich, die Lektüre nun mit der der angesprochenen Werke verknüpfen zu können.
Dann ein bißchen über den Neuen Wall geschlendert und bei Bricks einen Tee getrunken. Zum Abendessen habe ich mich mit meinem Freund Alexander getroffen. Da unser letztes Essen fast drei Monate zurücklag, gab es dann auch eine Menge zu erzählen.

Stefano della Bella, Ausschnitt aus „Sechs Frauen als Allegorien der Wissenschaften“, 1650er Jahre. Foto vom Ausstellungsflyer: nw2013
Samstags bin ich nach dem Frühstück in die Kunsthalle gefahren und habe mir als erstes die schöne Ausstellung „Von der Schönheit der Linie – Stefano della Bella als Zeichner“ (noch bis 26. Januar 2014) angeschaut. Zarte Blätter, die das genaue Hinsehen erforderten und mit wunderbaren Details belohnten. Über hundert Zeichnungen aus Museen in Florenz, Paris, London, Berlin, Frankfurt und Hamburg sowie aus dem Besitz der britischen Königin deckten ein breites Themenspektrum ab. Krieg und Militär, Schiffe, Tiere, Todesallegorien, Antikenstudien, etc.
Danach ging ich durch die Dauerausstellung. Bei den „Alten Meistern“ dominieren die Niederlande und die Kunsthalle läßt die Malerei des 17. Jahrhunderts mit einem breiten Spektrum an Künstlern und Themen sehr lebendig werden. Das besondere Licht, das die Maler eingefangen haben, scheint die Ausstellungsräume zu wärmen. Aber auch die Italiener sind gut repräsentiert. Die Malerei des 19. Jahrhunderts nimmt breiten Raum ein, nicht alles, was gezeigt wird, ist ein Meisterwerk. Aber es gibt berühmte Bilder von Caspar David Friedrich (Wanderer über dem Nebelmeer, Das Eismeer, insgesamt vierzehn Bilder), Adolph Menzel, Philipp Otto Runge, der Nazarener und Deutsch-Römer. Wunderbare Bilder der französischen Malerei aus der zweiten Jahrhunderthälfte weisen den Weg in die Moderne, vier Räume geben einen sehr guten Überblick.

Max Liebermann, Zwei Damen am Wasser (Studie zum Gemälde „Abend am Uhlenhorster Fährhaus“), 1910. Foto von einer Kunstpostkarte: nw2013
Die der klassischen Moderne gewidmete Saalflucht ist ein Hochgenuß! Lovis Corinth, Edvard Munch, Max Beckmann, Oskar Kokoschka, Willi Baumeister, Oskar Schlemmer, Franz Marc, Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner, Wassiliy Kandinsky und die anderen Maler der Brücke und des Blauen Reiters. Herrliche Farben, einst überraschende Formen und Sichtweisen, inzwischen kanonisiert und anerkannt. Slevogt, Picasso, Feininger, Dix und Arp kommen hinzu und sorgen für vielfältige Seheindrücke.
Das Schöne war, daß es kaum andere Besucher gab, nur langsam wurden wir zehn Personen. Viele Säle und Bilder hatte ich für mich allein und konnte vor- und zurückgehen und verschiedene Ansichten und Standpunkte ausprobieren.
Hingegen war die Ausstellung „Dänemarks Aufbruch in die Moderne – Die Sammlung Hirschsprung von Eckersberg bis Hammershai“ (noch bis 12. Januar 2014) sehr voll. Durchaus schöne Bilder, aber vielleicht auch etwas provinziell, irgendwie ein wenig abgehängt von den Entwicklungen in den Zentren der europäischen Malerei, die dann intensiv rezipiert wurde und die eigene Malerei beeinflußte.
Anschließend gab es ein kurzes Treffen mit dem Twitterbekannten @TimSchmuckall und danach ein paar Einkäufe in traditionellen Hamburger Fachgeschäften, später einen wärmenden Tee, und dann stand auch schon die Rückfahrt nach Berlin an.