
Ebert (Hrsg.), Vom Augusterlebnis zur Novemberrevolution. Briefe aus dem Weltkrieg 1914-1918 | Foto: nw2018
Jens Ebert (Hrsg.), Vom Augusterlebnis zur Novemberrevolution. Briefe aus dem Weltkrieg 1914-1918, Göttingen: Wallstein-Verlag, 2014, 393 Seiten.
Das Buch informiert in den sehr interessanten Anmerkungen über das Reichspostwesen vor und während des Krieges sowie die bei Anlaufen der Kriegsmaschinerie auftretenden logistischen Schwierigkeiten. Die kriegsbedingte Abwesenheit der Millionenheere von zu Hause führte zu einem enormen Anstieg der schriftlichen Kommunikation in allen Bevölkerungsschichten der kriegsbeteiligten Länder. Die Reichspost war lange erfolgreich bemüht, ihre legendäre Leistungsfähigkeit auch im Felde unter Beweis zu stellen.
Die im vorliegenden Buch präsentierten Briefe spiegeln die Bandbreite der Schreiberfahrung, des Wortschatzes und der Rechtschreibkompetenz wider. Sie weichen dadurch deutlich ab von den zu Beginn des Krieges herausgebrachten Briefsammlungen, die vorwiegend von Studenten stammten und außerdem stilistisch und in der inhaltlichen Tendenz lektoriert wurden, um auch an der Heimatfront die beabsichtigten Reaktionen hervorzurufen. Gleichzeitig wirkten diese Sammlungen ihrerseits stilbildend für die nachfolgenden Briefschreiber.
Daneben prägten diese im Sommer 1914 auf den Markt geworfenen Sammlungen die Inhalte der Soldatenbriefe, die mit einer gewissen Floskelhaftigkeit Kaisertreue und Heldentum, Verteidigungskrieg und Männlicheitsbilder reproduzierten – zumindest solange, bis der Krieg sein neues, technisiertes Gesicht zeigte und überdies entgegen den allgemeinen Erwartungen nicht rasch beendet wurde. Die im Band von Ebert präsentierte Auswahl verharrt eben nicht in der offiziellen Anfangseuphorie, sondern zeigt den Wandel hin zu Kriegsmüdigkeit und -trauma. Ein „Augusterlebnis“ über bürgerlich-akademische Kreise, Künstler und den Adel hinaus läßt sich, so das Nachwort, auch anhand der Briefe nicht nachweisen.
Trennung und Abwesenheit sind ein privates Thema der Korrespondenz, das sich mit Rollenverständnissen und der Neuaushandelung beziehungsweise faktischen Neuverteilung von Aufgaben und Zuständigkeiten auseinandersetzen muß. Naturgemäß ist auch der Tod ein Thema. Doch das Sterben hat nichts von literarischer Heldenverklärung, findet es doch überweigend entweder durch Artilleriebeschuß direkt im Schützengraben oder später im Lazarett statt. Die Briefe geben dies realistisch wieder, auch wenn gegenüber den Frauen manches Detail ausgespart wird. Aber auch diese wissen vom Tod, schließlich verhungern allein in Deutschland 800000 Menschen.
Nachstehend eine kleine Auswahl:
Die Stimmung famos, vom Krieg wird eigentlich wenig gesprochen, trotzdem die Stimmung durch die Einmischung Englands noch kritischer geworden ist. Fröhlichkeit, Heiterkeit u. Scherz hört man hier nicht nur bei den jungen Leutnants, sondern auch bei älteren und alten Offizieren. Schimpfen tun nur die, welche noch nicht gleich mit hinaus können, darunter auch ich!
Oberarzt Heinrich Luft an seine Familie in Gießen; Mainz-Castel 5/814
Liebste Eltern und Geschwister.
Ich muß euch noch ein paar Zeilen schreiben vieleicht die letzten. Denn auch wir hier sind bereit zu jeder Stunde dreinzuschlagen. Da ist es möglich das wir unser Leben opfern müssen und wir uns niemals wiedersehen aber wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben. Sollte ich nicht mehr zurückkehren dann lebt alle Wohl.Heizer Arthur Becher an seine Familie; SMS Nürnberg, d. 6. August 14
Mein lieber und hochverehrter Herr Doktor!
Mit grosser Trauer hat mich die Nachricht vom Heldentod Ihres Bruders erfüllt. Gefühle will ich Ihnen nicht in Worten ausdrücken, dazu ist die Zeit zu ernst und zu gross und es fliessst viel zu viel des edlen deutschen Blutes.
Auch Sie werden sich, wie alle Familien, mit dem Verluste zur Ehre des Vaterlandes abfinden müssen.
Der alte treue Gott der Deutschen wird uns weiter helfen. Ihrem Wunsch des Aufdrucks der Widmung bei der 2. Auflage Ihres »Volkes in Eisen«werde ich nachkommen und lasse Ihnen Korrekturen senden.
Ich stelle es Ihnen ganz anheim, wenn Ihre Stimmung es Ihnen erlaubt, an das »Posener Land« zu denken. Vielleicht bringt Sie die Arbeitstätigkeit auf literarischem Gebiet neben der anstrengenden Feldzugstätigkeit über den Verlust leichter hinweg.
Ihren deutschen Gruss als einen Rachegruss für den toten Bruder erwidernd, verbleibe ich
Ihr stets ergebener
Oskar Eulitzan Walter Flex; Lissa i. P. den 23. September 1914
Je länger der Krieg dauert desto abgestumpfter wird man. An Anregung fehlt es auch, die ganze soldatische Umgebung ist eine stumpfe gedankenlose Masse, die höchstens fürs Essen und schlechte Weiber Interesse hat. Betrachte ich die Arbeiter im Soldatenrock, dann ist mir klarer denn je, daß wir nach dem Krieg ein kleines Häuflein sein werden, das als Avantgarde des Sozialismus in Betracht kommt.
Soldat Friedrich Notz an Albert Zwicker; 10. Juni 1918
Die ganz unterschiedlichen Briefe beleuchten das Geschehen auf eine sehr spezielle Weise und erzählen so eine vielstimmige Version der Kriegsgeschichte jenseits der offiziellen Berichte und der klassisch-fokussierten Weltkriegsgeschichtsschreibung.
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