
Wortmacht und Machtworte | Foto: nw2018
Friedrich Schorlemmer, WORTmacht und MACHTworte. Eine Eloge auf die Leselust, Radius Verlag: 2018, 142 Seiten.
Der 1944 in Wittenberge geborene Pfarrerssohn hat trotz der üblichen Schwierigkeiten in der DDR Theologie studiert und von 1971 bis 1978 als Studentenpfarrer in Merseburg gewirkt, bevor er als Dozent am Evangelischen Predigerseminar und Prediger an der Schloßkirche in Wittenberg tätig war. Von 1992 bis 2007 war er Studienleiter der evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt. Schorlemmer wurde im Jahr 1993 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Im Radius-Verlag hat er mehrere Bücher veröffentlicht.
Der kleine Band versammelt zehn Texte rund um das Lesen und die Wirkung von Büchern. Er schreibt über Max Frisch, Heinrich Böll, Christa Wolf, Erich Loest, Martin Buber und Hermann Hesse beziehungsweise darüber, was die Lektüre ihrer Werke mit ihm gemacht hat. Es gibt eine Hommage auf die deutschen Buchhandlungen und den siebzigseitigen, titelgebenden Essay über das Lesen in der DDR und die Bedeutung von Texten für das (Über-)Leben.
In diesem Essay gibt Schorlemmer einen Einblick in ein Nischenleben in der DDR. Er zeigt die erschwerten Bedingungen des akademischen Diskurses und der bürgerschaftlichen Erziehung jenseits staatlicher Vorgaben auf, schildert die Atmosphäre von Denunziation und Unterdrückung. Literatur, Gedichte zumal sind in dieser Situation wichtige geistige Nahrung, geben Kraft und weiten den Horizont. Doch der Text wird bis an die Gegenwart herangeführt, in der eine andere, neue geistige Dürre herrscht.
Das Projekt Aufklärung steht zur Debatte. (S. 74)
Mit neuer Bitterkeit beschreibt Schorlemmer heute unerfüllte Versprechungen und enttäuschte Hoffnungen. Auch habe die Literatur offenbar ihre subversive Kraft verloren. Der Verrat am Sozialismus durch SED und Staatssicherheit habe die Saat gelegt für das heutige Erstarken rechter Kräfte unter den spezifischen Bedingungen und Langzeitwirkungen der Nachwendezeit.
Das Buch läßt seine Leser aber vor allem einen Blick werfen in die DDR, zeichnet lange Linien in die Gegenwart und versucht, aus der Perspektive des Zeitzeugen, des teilnehmenden Beobachters und des Akteurs Erklärungsangebote zu machen. Ich nehme an, daß viele, die wie Schorlemmer in der DDR gelebt haben, ihm widersprechen werden, weil sie Land und Gesellschaft anders erfahren und gesehen haben. Entsprechende Spannungen zwischen den Milieus spricht er selbst an. Verve und Leidenschaft sprechen aus den Zeilen und sie gelten Vergangenheit wie Gegenwart.
Hat dies auf Schreiben beflügelt ! rebloggt und kommentierte:
Eine Eloge auf die Leselust – Gedichte als wichtige geistige Nahrung. Den Blogbeitrag von „Leselust“ leite ich gerne weiter. Sudi
Pingback: Annotierte Lektüreliste 2018 | notizhefte