Szenen einer Ehe: Rough Strife

Lynne Sharon Schwartz, Für immer ist ganz schön lange, 1980, Neuübersetzung aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner 2015, Tb. 2017. Kein&Aber Pocket, 256 Seiten

4f58741318f1c33c6361b8e7e758d3ffEheromane können ja schrecklich sein – nicht umsonst brechen Liebesgeschichten in der Regel mit dem Happy End ab. Was danach geschieht, ist oft nur zu desillusionierend: Effi Briest läßt grüßen. Oder es wird eine Versuchsanordnung, wie sie Goethe stilbildend mit den Wahlverwandtschaften vorgelegt hat.

Schwartz zeigt uns in der Eingangsszene ein Paar im Moment höchster Vertrautheit, um dann durch den Umstand, daß der Mann nicht wie erwartet in zwanzig Minuten vom Joggen zurückkehrt, einen Reflexionsraum zu eröffnen. In rasanter Fahrt stürzt der Text in die Winkel und Tiefen der menschlichen Vorstellungskraft: Passen Männer und Frauen überhaupt zusammen, ist Treue möglich, Beständigkeit? Welche archaischen Muster prägen unser Verhalten? Was kann man überhaupt von einem anderen Menschen wissen?

Carolines Überlegungen offenbaren eine dramatische Unsicherheit: das Verlassenwerden erscheint ihr als völlig selbstverständlicher Grund für das Ausbleiben des Mannes, mit dem sie seit zwanzig Jahren verheiratet ist und den sie kurz vor seinem Aufbruch noch leidenschaftlich geliebt hatte.

Beiderseitige Diskretion hatte ihnen geholfen, verheiratet zu bleiben. (S. 14)

Auf nur wenigen Seiten schaffen Schwartz und ihre Übersetzerin eine hervorragende Darstellung des absurden Gedankenstrudels, nicht zu steuern, stets bereit, die nächste Idee bedingungslos zu glauben. So bilden Angst, Zweifel, Haß, Erinnerungen an die eigene Untreue ein konzentriertes Wechselbad der Spannungen und Gedanken. Nach diesem fulminanten Einstieg taucht der Ehemann natürlich wieder auf, aber die Situation ist verändert genug, daß Caroline sie zu einer langen Rückblende nutzt.

Schwartz erzählt die Geschichte von Caroline und Ivan als allwissende Autorin, doch es ist Carolines Perspektive, sie ist Flucht- und Angelpunkt des Romans, sie erinnert sich, wir lesen über ihre Gefühle, Zweifel und Wut.

Und so begleiten wir das Paar in die 1950er Jahre, als sie sich in Rom kennenlernten, lesen anschauliche Schilderungen von Atmosphäre und Stimmungen, beobachten Gefühle, Unsicherheiten und sich dann doch verschlingende Lebenspfade, die sich durch Höhen und Tiefen auf die Gegenwart der Romanentstehung hinbewegen.

So misstönend ihr Liebeswerben gewesen war, so harmonisch war ihre Ehe. (S. 98)

Irgendwann wird Kennedy ermordet. Schwangerschaft ist eine schwierige Phase. Prioritäten verschieben sich. Zwar gibt es nicht wenig Handlung in diesem Roman, aber letztendlich bleibt sie belanglos. Wie denkt Caroline darüber? Und wie Ivan? Also, was stellt sich Caroline vor, daß er denkt? Und warum er das tut und was das wiederum für sie heißt.

Natürlich wusste sie es. […] Und doch musste sie es ihn aussprechen hören, um zu wissen, dass sie es wusste. (S. 201)

Aber sie hatte eine Ahnung davon, dass er bald in die Jahre kommen würde – dicker werdender Bauch, Schlabberhosen, schütter werdendes Haar, fleischiger Nacken. Ihr schauderte bei der Vorstellung, dass sich ein schmerbäuchiger Mann an ihrem Körper zu schaffen machte. Dafür hatte sie sich nicht entschieden. Sie hatte sich für Ivan entschieden, wie er damals war, in Rom. (S. 136)

Schwangerschaft, Geburt, Mutterschaft. Aber auch ein Auswärtssemester inklusive mehrwöchigem Seitensprung, natürlich nicht ohne daß sie den zum Auswärtssemester ratenden Ehemann fragt, warum er sie so dringend loswerden wolle (S. 203).

Zurück bei Ivan beobachtet sie, wie innig seine Beziehung zu ihrer gemeinsamen Tochter ist:

Die beiden waren völlig zufrieden ohne sie, dachte sie. Während sie weg war, hatten sie die ganze Zeit so gelebt, vergnügt miteinander bis an ihr seliges Ende, wie es im Märchen hieß. Ihre Gefühle für John [der Seitensprung] waren nichts dergleichen. Ein Unbehagen regte sich in ihr und erfasste jede einzelne Zelle. (S. 214)

Das mag jetzt schlimmer klingen, als es tatsächlich ist. Denn der Roman ist flüssig, ja packend geschrieben und besteht nicht nur aus diesen frappierenden Stellen. Auch wenn ich als Mann mitunter den Kopf schüttele ob der typisch weiblichen Weltsicht, aber genauso ist es ja (oft) – Legionen von Müttern, Schwestern, Freundinnen, Geliebten und Ehefrauen leg(t)en davon Zeugnis ab. In der Summe allerdings wird mir Caroline im Lauf der Geschichte immer unsympathischer, sodaß mir das Buch insgesamt zum Schluß nicht mehr so außerordentlich gut gefallen hat, wie ich zunächst angenommen hatte. Versöhnt hat mich der Umstand, daß ihr unangebracht doktrinärer Feminismus von der Autorin ins Lächerliche gezogen und als Sumpfblüte einer immer raumgreifenden Torschlusspanik gezeichnet wird. Am Ende tut sie mir beinahe leid, aber da hat Schwartz auch schon ein Einsehen und mildert den Irrsinn ab, versöhnlicher Schuß inklusive.

Leseempfehlung!

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