„Skizzen zu seinem Bild“, so lautet der Untertitel, den Ulrich Weinzierl seiner zuerst 2005 erschienenen (mir in der Taschenbuchversion von 2007 vorliegenden) Biographie gab.
Bei Weinzierl – und mir – schwingen in dem, was sich da zu einem Bild zusammenfügen soll, auch immer Töne mit, die aus den Opern von Richard Strauss stammen und an einzelnen Textzeilen hängen oder diese umschwirren und in eine Klangwolke hüllen. Strauss war Hofmannsthal 1906 (nach einem ersten Kontakt 1898) erneut begegnet und erklärte ihm, dessen 1903 uraufgeführte Elektra vertonen zu wollen; die Oper wurde am 25. Januar 1909 in Dresden uraufgeführt. Es folgten „Der Rosenkavalier“ (1911), „Ariadne auf Naxos“ (umgearbeitete Fassung 1916), „Die Frau ohne Schatten“ (1919), „Die ägytische Helena“ (1928) und „Arabella“ (1933). Da lebte der 1874 geborene Hofmannsthal schon nicht mehr; er war 1929 im Alter von 55 Jahren verstorben.
Hofmannsthal studierte zunächst Jura, absolvierte mit 20 das 1. Juristische Staatsexamen, wandte sich dann der romanischen Philologie zu, und wurde 1898 mit einer Arbeit „Über den Sprachgebrauch bei den Dichtern der Pléjade“ an der Universität Wien promoviert. 1900/1901 arbeitete er an der Habilitationsschrift „Studie über die Entwicklung des Dichters Victor Hugo“ und legte diese am 31. Mai 1901 vor; noch vor einer Entscheidung der Fakultät zog er die Schrift jedoch im Dezember des selben Jahres zurück, um ausschließlich schriftstellerisch tätig zu sein.
Erste Gedichte waren bereits 1890 erschienen, Prosaarbeiten, Dramen und Fragmente erschienen in der Folgezeit. 1898 wird zum ersten Mal eines seiner Stücke aufgeführt. Das Deutsche Theater in Berlin spielte „Die Frau im Fenster“, noch im gleichen Jahr erlebte München „Der Tor und der Tod“. Am 18. März 1899 wurden am Deutschen Theater Berlin und am Wiener Burgtheater parallel „Der Abenteurer und die Sängerin“ sowie „Die Hochzeit der Sobeide“ uraufgeführt.
Hofmannsthal war also ein Jungstar, der in der Umbruchssituation der Literarischen Moderne vieles aufgriff, reflektierte und fokussierte. 1902 erschien dann „Ein Brief“, vorgeblich von „Lord Chandos“ an Francis Bacon gerichtet. Hierbei handelt es sich um einen Schlüsseltext der zeitgenössischen Sprach- und Bewußtseinskrise, freilich und paradoxerweise in unendlicher Sprachmächtigkeit abgefaßt.
Hofmannsthal war daneben auch Jude – manchen zu wenig, den meisten zu viel – und, seit er als Siebzehnjähriger dem fünf Jahre älteren Stefan George begegnet war, dessen Annäherungsversuche er zurückgewiesen hatte, den Anfechtungen der Homosexualität ausgesetzt. Im Wien der Jahrhundertwende bildete er in beiden Hinsichten keinen Einzelfall. Weinzierl wertet zu beiden Themenkomplexen viel Material aus und läßt so gleichsam nebenbei ein Sittengemälde der vermeintlich guten alten Zeit entstehen. Es zeigen sich allerlei Abgründe, aber meistens ermöglichen die Schranken der Konvention ein gesittetes, nicht zwingend konfliktfreies Zusammenleben. Die Harden-Eulenburg-Affäre in Berlin zeigte jedoch, wie gefährdet diese Ruhe war.
1901 heiratete Hofmannsthal, 1902 wurde die Tochter Christiane geboren, 1903 der erste Sohn, Franz. 1906 kam als drittes Kind Raimund zur Welt. Franz nahm sich 1929 das Leben, kurz darauf erlitt Hofmannsthal einen Schlaganfall, an dessen Folgen er verstarb.
Die frühen Gedichte sind von erstaunlicher Reife und einer gewissen Künstlichkeit. Sie spiegeln, wie das 1896 veröffentlichte Gedicht „Ein Traum von großer Magie“ häufig Lektüreerfahrungen (hier Schopenhauer). Hier der Anfang:
Viel königlicher als ein perlenband
Und kühn wie junges meer im morgenduft
So war ein grosser traum, wie ich ihn fand.Durch offene glasthüren ging die luft
Ich schlief im pavillon zu ebner erde
Und durch vier offne thüren ging die luftUnd früher liefen schon geschirrte pferde
Hindurch und hunde eine ganze schaar
An meinem bett vorbei. doch die geberdeDes magiers, des ersten, grossen, war
Auf einmal zwischen mir und einer wand
Sein stolzes nicken, königliches haarUnd hinter ihm nicht mauer: es entstand
Ein weiter prunk von abgrund, dunklem meer
Und grünen matten hinter seiner hand.Er bückte sich und zog das tiefe her.
Er bückte sich und seine finger gingen
Im boden so als ob es wasser wär.Vom dünnen quellenwasser aber fingen
Sich riesige opale in den händen
Und fielen tönend wieder ab in ringen.
Weinzierls Buch liest sich gut, macht neugierig auf Hofmannsthals Texte und bestärkt mich in meinem Entschluß, mir endlich die Tagebücher Harry Graf Kesslers vorzunehmen – was wohl zu einer Lebensaufgabe würde…
Danke für das Näherbringen.