Historische Vergleiche sind riskant, wie kürzlich der Bundesminister der Finanzen erlebt hat, als er die russische Politik gegenüber der Ukraine mit derjenigen des Deutschen Reiches im Jahre 1938 in Beziehung setzte. Dabei war er gar nicht der erste, dem hier Ähnlichkeiten auffielen. Hilary Clinton beispielsweise hatte sich schon früher entsprechend geäußert. Aber auch andere Vergleichsmöglichkeiten ergeben sich; genug Krisen gab es ja in der europäischen Geschichte.
„Der Historiker Jörn Leonhard vergleicht die politische Motivation Russlands in der Krim-Krise mit der Motivation einiger Staaten in der Krise in Europa vor dem Ersten Weltkrieg 1914. In beiden Fällen gebe es postimperiale Staaten, die sich bedroht fühlten, sagte er im DLF. Die geschichtspolitische Dimension von untergegangenen Imperien dürfe nicht unterschätzt werden.“
Heute morgen las ich nun bei Herfried Münkler, in seinem Weltkriegsbuch ‚Der große Krieg. Die Welt 1914-1918‘, die nachfolgende Passage, die recht aufschlußreich ist für ein Phänomen, das Bernd Ulrich in der aktuellen ZEIT ausführlich thematisierte, als er fragte: „Woran liegt es, dass so viele Bürger die Krimkrise ganz anders beurteilen als Politik und Medien?“
„Andere – Max Scheler und Werner Sombart etwa – sahen in England den eigentlichen Feind, dessen «geistloser Materialismus» in Verbindung mit einem «hemmungslosen Utilitarismus» die deutschen Werte und den deutschen Idealismus bedrohe. Auch nach dieser Deutung, die sich schließlich dem politischen Konservatismus annäherte, handelte es sich für die Deutschen um einen Abwehrkampf, in dem die eigene Lebensweise verteidigt wurde – in diesem Fall gegen einen kalten angelsächsischen Kapitalismus. Die Vorstellungen von einem zu errichtenden Staatssozialismus und das Projekt einer Abkoppelung von der britisch beherrschten Weltwirtschaft durch ein autarkes Mitteleuropa spielten hier ebenso eine Rolle wie die Sympathien für jene russischen Schriftsteller und Intellektuellen, die vor einer weiteren «Verwestlichung» Russlands gewarnt und und zur Verteidigung des russischen Geistes aufgerufen hatten. Die deutsche Dostojewski-Rezeption vor und nach dem Krieg war Ausdruck dieser Sicht auf Russland. Die Herausstellung Englands als Hauptfeind war einer der Pfade, die in die Vorstellung eines «deutschens Sonderwegs» mündeten.
Münkler, S. 221.
Es scheint auch ein nachwirkendes Geschichtsunterbewußtsein zu geben.