Lotte in Weimar – Thomas Manns Goethe-Roman

IMG_5486Wie die meisten Werke Thomas Manns habe ich dieses Buch in der Frankfurter Ausgabe; hier wurde es 1982 von Peter de Mendelssohn herausgegeben. Schlank liegen die 492 Seiten in der Hand. Ostern 1992 habe ich auf dem Vorsatzblatt eingetragen; das legt ein Geschenk meiner Eltern nahe.

Im Herbst 2012 stand nun die vollständige Drittlektüre an; konnte aber nicht abgeschlossen werden und wurde im Sommer 2013 fortgesetzt. Der abgegriffene Schutzumschlag läßt erkennen, daß ich das Buch wie die meisten in meinen Regalen immer wieder zur Hand nehme, um etwas zu suchen oder eine Passage nachzulesen.

Sowohl Peter de Mendelssohns Nachwort als auch der Eintrag von Eckhard Heftrich im Thomas Mann Handbuch sowie Volkmar Hansens Interpretation (in den von ihm herausgegebenen Interpretationen der Romane und Erzählungen) betonen die lebenslange Beschäftigung Manns mit Goethe. Der Zweiundzwanzigjährige las begeistert die Gespräche mit Eckermann, schätzte den Faust und ließ bereits in die Buddenbrooks und viele seiner späteren Werke Zitate und Anspielungen auf Goethe einfließen. Während er den Tod in Venedig schrieb, las er mehrfach die Wahlverwandtschaften, um seinen Stil zu verbessern. Der Plan eines Buches über Goethe war zunächst durch die Marienbader Altersliebe zu Ulrike von Levetzow angeregt worden. Diese Konstellation wurde dann aber für den Tod in Venedig grundlegend transponiert und dort gleichsam unabhängig durchgeführt.

1936 dann beginnt Mann mit der Arbeit am Goethe-Buch, dessen formale Einordnung zunächst unentschieden bleibt und das sich erst allmählich zum Roman auswächst. Eingeschoben in die monumentale Folge der Josephserzählung, fühlt sich der gereifte Autor der Aufgabe offenbar besser gewachsen als zwanzig Jahre früher, sich den Olympier anzuverwandeln. Das Thema der tragischen und entsagungsvollen Altersliebe weicht Betrachtungen über die Künstlerwürde und politischen Mahnungen Goethes an die Deutschen. Im Gewande des historischen Lustspiels kann Mann die politische Verführbarkeit der Deutschen kritisieren.

Am 25. Oktober 1939 schloß er das Manuskript in Amerika ab, siebenunddreißig Monate nach dem Beginn der Niederschrift in der Schweiz. Die deutsche Ausgabe erschien im Dezember 1939 in Stockholm – und die 10.000 gedruckten Exemplare wurden fast vollständig noch vor Weihnachten verkauft. Bis 1949 erschienen 33.000 Exemplare auf deutsch; unter den damaligen Umständen eine Sensation.

Stefan Zweig, wie Mann im Exil, lobte das Buch als „[v]ollkommen in den Proportionen, vollendet, ja in einem noch nie erreichten Grade durchgebildet in der Sprache […]“ und pries die Bedeutung resümierend wie folgt:

„Alles was die gefesselte und geknechtete Binnenliteratur Hitlerdeutschlands in den sieben wahrhaft magern Jahren produziert hat, ergibt zusammengerechnet nicht Gehalt und Gewicht dieses einzigen Buches aus dem Exil.“

(Stefan Zweig, Thomas Mann: Lotte in Weimar, in: Klaus Schröter (Hrsg.), Thomas Mann im Urteil seiner Zeit, Dokumente 1891-1955, 1969, S. 316)

Erste Teile des Romans sind noch in der Schweiz entstanden, nach der Übersiedelung in die USA – beschlossen nach dem „Anschluß“ Österreichs am 12. März 1938 – wird das August-Kapitel abgeschlossen und später das siebte begonnen. Immer wieder unterbrochen durch die starke publizistische Tätigkeit, mit der sich Mann in Amerika als Gegner des Hitlerregimes positionierte, und die ihm von seiner Gönnerin Agnes Meyer vermittelte Lehrtätigkeit in Princeton beendete er „Lotte in Weimar“ dann doch erst am 25. Oktober 1939.

Mir persönlich gefällt das Buch sehr, es ist in einer erstaunlich eingängigen Verbindung einer museal-verzopften „Weimar-Sprache“ der Adepten, der einfach-genialischen Sprache des alten Goethe, den zahlreichen Originalzitaten und dem typischen Stil Thomas Manns verfaßt und liest sich gut. Der Genuß steigt, wenn man Leseerfahrung aus Goethes Werken mitbringt. Durch den Mund Goethes liest Mann auch den Deutschen die Leviten, so wenn sich Goethe zur nationalen Erhebung 1813 und dem Charakter des Volkes äußert:

„Aber daß sie die Klarheit hassen, ist nicht recht. Daß sie den Reiz der Wahrheit nicht kennen, ist zu beklagen, – daß ihnen Dunst und Rausch und all berserkerisches Unmaß so teuer, ist widerwärtig, – daß sie sich jedem verzückten Schurken gläubig hingeben, der ihr Niedrigstes aufruft, sie in ihren Lastern bestärkt und sie lehrt, Nationalität als Isolierung und Roheit zu begreifen, – daß sie sich immer erst groß und herrlich vorkommen, wenn all ihre Würde gründlich verspielt, und mit hämischer Galle auf die blicken, in denen die Fremden Deutschland sehen und ehren, ist miserabel.“ (S. 299).

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