
Grunewaldsee, Walter Leistikow via WikiCommons
Im Jahr 2010 erschien dieser 230 Seiten umfassende Roman von Hans-Ulrich Treichel bei Suhrkamp. Der junge Held Paul ist triebgesteuert und doch meist so akademisch-gesellschaftlich domestiziert, daß sein Sexualleben im Westberlin der mittleren Mauerzeit und im Spanien der frühen Nach-Franco-Ära unspektakulär verläuft, aber insgesamt doch als erfolgreich bezeichnet werden kann.
Der Sex zwischen ihm und Birgit hätte auch der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft gefallen. (S. 103)
Mit Kreuzberg und der Pfaueninsel sind mythische Erzählorte benannt, die durch das exotische Malaga ergänzt werden, wo er sich nach dem Studium für ein Jahr als Sprachlehrer verdingt.
Das Berlin-Kolorit ist charmant geschildert, etwa im Hausbesetzercafé in der Regenbogenfabrik. Es gibt Passagen über das Verliebtsein auf Distanz, über die alternde Mutter, das Leben in Kreuzberg während des Wartens auf das Referendariat, die allesamt amüsant zu lesen sind.
Die Pfaueninsel hat es Paul besonders angetan, auch wenn er mit Birgit ja zunächst um den Grunewaldsee spazieren muß. Er besucht die Insel regelmäßig und erfährt später interessante Details über sie.
Der weite Strecken liest sich das Buch wie der Bericht einer zeit- und berlintypischen – oder jedenfalls nicht völlig untypischen – verlängerten Adoleszenz voller Möglichkeiten, Sackgassen und Unentschiedenheit:
Er bedankte sich höflich, ein wenig zu höflich vielleicht und schrieb noch am gleichen Tag eine Bewerbung. Aus purem Trotz. Er glaubte nicht an eine reelle Bewerbungschance. Er reihte sich in die Warteliste ein. Noch eine Warteliste. Er wartete auf ziemlich viel zur Zeit. Auf das Referendariat. Auf María. Auf den Job in der Meierei. Und manchmal sogar auf das Haus in Gliesmarode. (S. 164)
Und es wäre nicht Berlin und es wären nicht die späten Siebziger und frühen Achtziger Jahre, wenn es nicht immer wieder um Sex ginge. Aber auch andere Episoden und Vorfälle sorgen für ein wunderbar stimmiges Kolorit. Dann, während Paul immer noch wartet, fällt überraschend die Mauer – was als Vorgang in Pauls Leben schlichtweg keine Rolle spielt – und der Autoverkehr in Kreuzberg nimmt zu.
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