Stichworte zur >Geistigen Situation der Zeit<
Band 1: Nation und Republik
Band 2: Politik und Kultur
Herausgegeben von Jürgen Habermas, 1979
Ein Buch, von dem ich gelegentlich gelesen hatte und das ich nun erwarb. Spontan sah ich es in der schönen Autorenbuchhandlung ausliegen und griff zu. (Der eingelegte Werbezettel verzeichnet übrigens einen Preis von 20 DM für beide Bände, heute kosten sie 20 Euro.)
Habermas orientierte sich an dem 1931 von Karl Jaspers geschriebenen Buch „Die geistige Situation der Zeit“, das als Bd. 1000 der Sammlung Göschen erschienen war. Als diese Nummer in der Edition Suhrkamp bevorstand, trat er an eine Reihe von Intellektuellen heran, damit sie zu einem Sammelwerk mit vergleichbarer Intention beitrügen. 32 Beiträge kamen schließlich zusammen.
Die Autoren, zwischen 1922 und 1940 geboren, sind allesamt bereit, sich unter dem Signum des linken Intellektuellen um Habermas zu scharen – nicht alle der Angefragten dieser Generation waren das (noch), wie es in Habermas‘ Vorwort heißt. Gerade zwei Frauen sind dabei: Erika Runge und Dorothee Sölle. Ansonsten: Peter Glotz, Ralf Dahrendorf, Horst Ehmke, Hans-Ulrich Wehler und die Mommsens, Dieter Senghaas, Claus Offe, Fritz J. Raddatz, Uwe Johnson, Martin Walser, Iring Fetscher und viele andere.
Die Aufsätze sind nicht allzu lang, der Duktus ist unterschiedlich. Alle ringen mit der Bundesrepublik und – horribile dictu! – mit Deutschland. Die Versöhntheit der Autoren mit der Republik, die an Willy Brandt festgemacht wurde, wankt. Die Verhältnisse, sie sind nicht so, jedenfalls nicht so, wie es die meisten Autoren sich vorstellen. Strukturelle Gewalt wohin man schaut, immer noch zu wenig Umverteilung und zu viel Manipulation. Überall Nazis, alte und junge. Die Holocaust-Serie läuft im Fernsehen, Filbinger war zurückgetreten. Der Staat, der sich 1968 schon die Notstandsverfassung gegeben hatte, ging nun gegen den Terrorismus der RAF vor und nutzte die Gelegenheit, die Linke und mit ihr das kritische Denken zu diskreditieren. Helmut Schmidt ist zwar in der SPD, aber was heißt das schon.
Beim ersten Durchblättern habe ich den Eindruck, daß es zornige Texte sind, auch enttäuschte Texte. Kaum hatte man seinen Frieden mit diesem deutschen Staat machen können, so entglitt er einem bereits wieder. Ein interessantes Zeitdokument, veröffentlicht vor der Bundestagswahl 1980, bei der mit Franz Josef Strauß das perfekte Feindbild antrat und verlor. Umso größer das Entsetzen im Oktober 1982, als der aus der Stoppt-Strauß-Wahl hervorgegangene Deutsche Bundestag in einem konstruktiven Mißtrauensvotum Helmut Kohl zum Bundeskanzler wählte.
„Zornige Texte“ – sehr gut!
In jedem Fall eine interessante Diskussipnsetappe.