Matthias Bormuth, Schreiben im Exil. Porträts, Göttingen: Wallstein Verlag, 2022, 308 Seiten.

In zwölf Kapiteln werden Autorinnen und Autoren des Exils vorgestellt, die im 20. Jahrhundert vor den Nationalsozialisten, aber auch den Kommunisten fliehen mußten und im Exil oder der Verbannung weiterzuarbeiten versuchen. Gut recherchiert, klar strukturiert und ansprechend formuliert informiert Matthias Bormuth über die porträtierten Autoren. Von Hannah Arendt über Gottfried Benn und Hans Scholl, Felix Hartlaub und Stefan Zweig, Ossip Mandelstamm oder Karl Popper bis zu Adam Zagajewski wird ein breites Panorama von Typen und spezifischen Lebenssituationen vorgestellt.
Die Klammer des Exils bildet zwar ein gemeinsames Schicksal, läßt aber erstaunlich viel Raum für unterschiedliche Entwicklungen, Leidenssituationen und Reaktionen auf die zeitgenössischen Vorgänge.
Zum Autor:
Matthias Bormuth ist Professor für Vergleichende Ideengeschichte am Institut für Philosophie der Universität Oldenburg Zu seinen Forschungsfeldern zählen neben der deutschen und europäischen Ideengeschichte auch Fragen der Ethik in Psychiatrie und Psychoanalyse sowie das Werk von Karl Jaspers
Exil und Verbannung sind keine Phänomene der Neuzeit; zudem lassen sie sich nicht auf einzelne Länder begrenzen. Das vorliegende Buch behandelt aber nur die spezifische Exilsituation von Autor*innen, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ins Exil getrieben wurden, ergänzt um ein sowjetisches und ein polnisches Schicksal.
Aber auch dies erlaubt Bormuth, wichtige Aspekte des Exilantenschicksals herauszuarbeiten und überdies kurze biographische Skizzen mit Schlaglichtern auf das jeweilige Werk zu verbinden.
Der Band wird mit einem Beitrag über Hannah Arendt eröffnet, die sich in ihrem Werk auch theoretisch mit den Grundlagen und Strukturen von Herrschaft beschäftigt hat, die zur Unterdrückung von anderen Meinungen führen und damit auch Vorbedingungen für das Exil von Schriftstellern und Intellektuellen bilden. Kundig verknüpft Bormuth Lebensstationen der Autorin mit einzelnen Werken. Wichtig sind Ausführungen zur Bedeutung des Gesprächs und zum Unterschied zwischen Meinung und Wahrheit, auf den Arendt Wert legte.
Bormuth behandelt auch den Dichter Gottfried Benn, der ja nun gerade nicht im Exil war, sondern sich als angesehener Literat in den frühen 1930er Jahren politisierte und nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten deutlich in Wort und Schrift hervortrat und sich dem Regime regelrecht andiente. Da Benn vielen Nazis aber verdächtig blieb, wurde er rasch kaltgestellt und schrieb jahrelang für die Schublade.
Das Gespräch mit Inge Jens, die sich als Herausgeberin der Tagebücher von Thomas Mann der Jahre ab 1933 auch mit dessen Exil beschäftigt hat und unter anderem ein kleines Buch über den Schreibtisch des Nobelpreisträgers geschrieben hat, in dem sie vor allem die Bemühungen von Katja Mann schildert, dieses Möbel durch die Welt zu schicken, kam mir wie ein Feigenblatt vor. Nicht, daß es uninteressant zu lesen wäre, aber die Leerstele eines fehlenden Essays wird dadurch nur markieret, nicht aber wirksam verdeckt.
Das Schicksal von Ossip und Nadeschda Mandelstam wird ebenso ergreifend wie pointiert geschildert und wirft ein grelles Schlaglicht auf die Situation in der früheren Sowjetunion. Da die UdSSR aber viele Jahrzehnte Bestand hatte und die Unterdrückung viele Gesichter hatte, besteht auch hier der Wunsch nach mehr.
Im Essay über den polnischen Autor Adan Zagajewski (gestorben 2021) gelingt Bormuth ein besonders einfühlsames und informatives Porträt, bei dem nebenbei einiges über Rilke zu erfahren ist.
Insgesamt habe ich aus diesem gut geschriebenen Buch sehr viel gelernt und eine ungeheure Menge neuer Leseanregungen erhalten.