Es ist spürbar die Weimarer Republik, es ist Asphaltliteratur – Autos lassen das Hotel vibrieren, Scheinwerfer und Leuchtreklame erhellen die Räume – und es ist auch Berlin, natürlich. Aber Berlin ist eher Hintergrund, Umgebung. Im Zentrum steht das Hotel, seine Räume, die Mitarbeiter, die Gäste. Hier pumpt sozusagen das Herz des Romans, außerhalb liegende Vergnügungsstätten nehmen die Menschen immer nur zeitweise auf.
Vicki Baum. Menschen im Hotel, 1929 (Berlin: Ullstein), 13. Aufl. 2021, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 332 Seiten.

Vicki Baum (geb. 1888 in Wien – gest. 1960 in Hollywood) entstammte einer jüdischen Mittelschichtfamilie, ließ sich zur Harfenistin ausbilden und war mit Unterbrechungen in Österreich und Deutschland bis 1923 auch als Musikerin aktiv. Sie heiratete in rascher Folge zweimal, war als Journalistin tätig und begann insgesamt fünfzig Bücher zu schreiben. Das erste (Frühe Schatten. Das Ende einer Kindheit) erschien bereits 1914, dann, ab 1920 publizierte sie regelmäßig.
Für die Verfilmung von „Menschen im Hotel“ (1929) ging sie 1931 nach Hollywood; sie kehrte erst 1949 zu einer Reise nach Europa zurück, bei der sie allerdings Deutschland und Österreich aussparte.
Der Roman schildert das Geschehen weniger Tage in einem Berliner Grandhotel in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, aber vor der Inflation. Wir erfahren etwas vom Vorleben der Figuren, aus dem heraus sie in das Hotel gekommen sind, für einen einmaligen oder wiederholten, für einen kurzen oder längeren Aufenthalt. Zentraler Ort der Begegnung aber auch des Verfehlens ist die Halle, durch die alle hindurchmüssen, bevor die Drehtür sie in die Welt hinaus entläßt, der Lift sie in ihre Zimmer befördert oder sie in den ebenerdigen Gesellschaftsräumen verschwinden.
Eine alternde Ballerina, ein traumatisierter Kriegsinvalide, ein hochstaplerischer Baron, ein sterbenskranker Buchhalter und sein Generaldirektor aus der Provinz sowie eine junge Frau, die sehen muß, wo sie bleibt – diese sechs Menschen stehen im Zentrum des Romans, ihre Handlungsstränge verflechten sich miteinander. Nebenfiguren und Familienangehörige umkreisen dieses Sextett, dessen Begegnungen sich teils unmittelbar ergeben, teils aber auch über das Hotelpersonal vermittelt werden.
Kriegsfolgen, Geschwindigkeit, Masse und Spekulation sind Themen der Zeit, die prägnant mit den persönlichen Schicksalen von Liebe und Einsamkeit, Angst vor Alter, Tod oder finanziellem und gesellschaftlichem Ruin verflochten werden.
Baum ist, wie auch andere Autorinnen jener Zeit, durch journalistisches Schreiben, durch faktenbasierte Reportagen vorbereitet. „Die Frau berichtet, anstatt zu beichten,“ beschrieb Erika Mann im Jahr 1931 diesen Autorinnentyp. Auf diese Weise bot das Buch den Zeitgenossen ein hohes Identifikationspotential und war gerade auch für junge Frauen interessant.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Während meiner Schulzeit habe ich lediglich die eindringlich und massenpsychologisch interessante Schilderung des Boxkampfes gelesen (Baum boxte selbst!). Die Sprache ist keineswegs nur, nicht einmal überwiegend berichtend. Baum kann Szenen und Stimmungen evozieren, sie porträtiert ihre Figuren treffend und individuell genug, damit sie mehr sind als bloße Typen.
Die Geschichte nimmt ein paar unerwartete Wendungen, muß aber ohne Happy-End auskommen.