Sabrina Janesch, Die goldene Stadt

Sabrina Janesch, Die goldene Stadt | Foto: Verlagswebseite #roman #schatzsuche

Sabrina Janesch, Die goldene Stadt | Foto: Verlagswebseite

Ein bilderreicher Roman

Von Uerdingen nach El Dorado – ein fantastischer Weg, beginnend mit den Träumen eines Jungen, über viele Stationen, mit zahllosen Entbehrungen, Umwegen, Rückschlägen. Die Geschichte basiert auf realen Vorkommnissen und Handlungen und beschreibt den Lebensweg von Rudolph August Berns, der sich später Augusto R. Berns nannte, bis nach Peru kam, wo er die goldene Stadt der Inkas suchte und schließlich Machu Picchu fand.

Eigentlich bin ich kein Freund historischer Romane, die durch eine Fülle von Details die Authentizität belegen wollen. Fontane als zeitgenössischer Autor schreibt völlig anders über Berlin – in dem der Roman einige Zeit spielt –, er muß das für ihn Selbstverständliche nicht aussprechen, um die Authentizität zu beglaubigen. Doch Janesch übertreibt es nicht und ihr Roman hat eine interessante Geschichte und ein ungewöhnliches Thema, die die Lektüre lohnen: Wie wird ein Junge aus Uerdingen zum Entdecker und Forschungsreisenden in ferne Länder? 

Was war nur los mit seinen Eltern? Rudolph wollte es nicht ganz glauben, aber vielleicht litt auch sein Vater an dieser sonderbaren Krankheit, die die meisten Leute im Laufe ihres Lebens befiel: diesem steifen Verharren in der unmittelbaren Umgebung, in all dem, was man seit jeher kannte. Darüber hinaus schien es für sie nichts zu geben; es wurde nichts gesehen, nichts entdeckt, nichts erfunden oder erdacht. (S. 31)

Doch dann ergibt sich für den Vater und damit die Familie die Gelegenheit zum Umzug nach Berlin, Eröffnung eines exklusiven Geschäfts. Rudolph besucht das französische Gymnasium, hat Kontakt zu interessanten Mitschülern, trifft Alexander von Humboldt.

Plötzlich jedoch gibt es einen Schicksalsschlag: Nach dem unerwarteten Tod des Vaters kehrt die Mutter mit den Kindern in ihr Heimatdorf zurück und heiratet erneut. Die Söhne müssen in einer Regenschirmfabrik eine Schmiedelehre machen und sämtliche Verbindungen zur Zivilisation scheinen abgebrochen. 

Berlin lag vierundsiebzig Meilen vom Mittelalter entfernt, Warschau hundertsiebenundvierzig. (S. 100)

Als nach sehr harten Jahren der einundzwanzigste Geburtstag Rudolphs und mit diesem die Einberufung zum Militär naht, unterstützt der Onkel seine Flucht zu Verwandten nach Amerika. Doch statt in die USA geht Rudolph nach Südamerika, nach Peru, um El Dorado zu suchen.

Die zahlreichen Schauplätze werden fesselnd beschrieben, das jeweilige Kolorit ebenso unaufdringlich wie passend hergestellt. Der Lebensweg des Helden ist voller Herausforderungen, wobei viele Entbehrungen wenn nicht direkt als Erfüllung, so doch als Stärkung begriffen werden und ihm seinem Ziel immer näher bringen. Die Menschen, ob Gegenspieler oder Förderer, werden zwar durchaus plastisch geschildert, bleiben – bis auf Harry Singer – aber allesamt rasch am Wegesrand zurück, während Berns immer weitergeht, -reist, -reitet. Körperliche Herausforderungen, wirtschaftliche Durststrecken, ergebnislose Sackgassen – nichts kann diesen Mann aufhalten.

Als er seine große Entdeckung macht, gelingt es der Autorin zu zeigen, welche Wirkung dies körperlich und seelisch auf Berns hat, vermag sie sein Erleben so in Worte zu fassen, daß man beinahe meint, die Ruinen selbst zu sehen und anzufassen.

Der andauernde Kampf, den Berns seit seiner Jugend ausficht, die Vision, der er seit seiner Kindheit folgt, schließlich die Suche nach dem Gold in der verlassenen Stadt, all das wird sehr anschaulich, aber nicht ausschweifend beschrieben und gleichzeitig als spannende Geschichte erzählt. Die vielen Stationen mit den zahlreichen Erlebnissen verschwimmen dabei durchaus ein wenig, weil immerfort Neues auf Berns und die Leser einstürmt. Dabei bleibt Berns ernst und solide, paßt sich an die Lebensweise vor Ort an und bleibt doch stets Deutscher, so wie andere Akteure Yankees, Spanier, Franzosen oder Eingeborene sind.

Überdies ist Berns nicht nur ein begnadeter Ingenieur, sondern auch ein glänzender Projektentwickler und Prospektschreiber, der als großer Herr auftreten und Investoren gewinnen kann.

Meine Leseempfehlung für »Die goldene Stadt«

Das Buch bietet flüssig geschriebene und gut lesbare Unterhaltung, durchaus auch mit einem gewissen Bildungsanspruch. Der spannende Entdeckerroman spielt zwischen den 1840er und 1880er Jahren, ist sprachlich aber von heute, ganz anders als etwa bei dem zeitgenössischen Autor Karl May, dessen Reiseerzählungen vor allem in den 1880er Jahren erschienen und überwiegend in den drei Jahrzehnten davor angesiedelt sind. Zwar müssen May und Janesch beide das Fremde und Exotische in Worte fassen, aber sie verwenden dafür den Duktus ihrer jeweiligen Zeit. Und May hätte – bei wesentlich stärkerer Betonung der zivilisatorischen Mission Berns‘ – drei bis fünf Bände aus dem Stoff gemacht, nehme ich an.

Ein echter Schmöker! Und außerdem kann er das Bewußtsein dafür wecken, daß Amerika kein geschichtsloser Kontinent war, bevor er von den Europäern entdeckt wurde – genausowenig wie das vorkoloniale Afrika. Am Beispiel der reichen Inka-Kultur wird das Ausmaß des Verlusts deutlich, den die Begegnung mit den Conquistadoren bedeutet hat.

 

Sabrina Janosch, Die goldene Stadt. 2017, 4. Aufl. 2018, Berlin: Rowohlt, 516 Seiten.

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