Im Vielklang der Musen: Goethe, die Frauen und die Musik

Foto: nw2014

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Melpomene, Terpsichore, Thalia, Euterpe, Erato, Polyhymnia und Kalliope, weniger Urania und Klio prägen und bestimmen das Werk von Johann Wolfgang von Goethe. Das – im geselligen Kreis oder auf der Bühne – gesungene oder zumindest singbare Wort, getragen von einer schlichten Melodie und gefaßt von einem oftmals schlichten Reim, Goethe hat während seines langen Lebens immer wieder danach gesucht und uns viele Proben seiner Kunst hinterlassen. Ein besonderes Sprachgefühl und ein solides musikalisches Grundverständnis fügen sich zu einer spezifischen Begabung.

Barbara Mühlenhoff legt mit ihrer kleinen Studie »Goethe und die Musik. Ein musikalischer Lebenslauf« (2011, 111 Seiten plus Apparat) eine ebenso kenntnis- wie detailreiche Untersuchung zum Thema vor und präsentiert entlang von zehn Lebensstationen, welche musikalische Prägung Goethe erfuhr, wer seine musikalische gebildeten Gesprächspartner waren und wie seine Werke vertont wurden. Erwähnung finden aber naturgemäß aber auch die zahlreichen Frauen, denen er begegnet, in die er sich verliebt und die dann einen anderen heiraten oder bereits mit einem anderen verheiratet sind oder die er flieht.

Leipziger Sängerinnen eröffnen diesen Reigen im Laufe Goethes dortiger Studienzeit, die Pfarrerstochter Friederike Brion, die er während seiner Straßburger Zeit kennenlernt und in den Sesenheimer Liedern feiert, läßt er sitzen und geht nach Frankfurt zurück.

Von 1771 bis 1774 unterhält Goethe eine Anwaltspraxis am Hirschgraben, die er jedoch recht erfolg- und lustlos betreibt und in welcher Zeit er insgesamt nur 28 Prozesse führt. (S. 27)

So beginnt Mühlenhoff das Kapitel über Gottes Frankfurter Erwachsenenjahre, während derer er bei einer Episode in Wetzlar Charlotte Buff, später verheiratete Kestner kennenlernt und zwei Jahre später als Werthers Lotte unsterblich macht – das Buch begründet gleichzeitig seinen Ruhm. Kurz darauf inspiriert ihn Maximilane von La Roche, spätere von Brentano, danach – nun schon in Weimar – ist es für einige Monate Anna Elisabeth Schönemann, dann, für Jahrzehnte, Charlotte von Stein. Ebenfalls bedeutsam, aber ohne erotische Komponente wirkt die Herzoginmutter Anna Amalia auf ihn ein. Nach dem ersten Italienaufenthalt scheint Goethe nun auch über praktische Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügt zu haben, die er in der Beziehung und nachmaligen Ehe mit Christiane Vulpius ausleben kann. Bis ins hohe Alter wird Goethe – die Marienbader Elegie legt hierfür ebenso Zeugnis ab wie der West-Östliche Diwan – die Inspiration durch Frauen suchen und empfangen.

Das Buch erwähnt die Frauen zwar, stellt sie aber nicht ins Zentrum der Betrachtung. Hier findet sich die Musik, die Goethes Werk hervorruft, also etwa die vielen Vertonungen seiner Gedichte, die ja nicht selten „Lieder“ heißen und oft auch auf Volksliedern beruhen. Mühlenhöff erläutert aber auch, daß Goethe die Libretti für sieben Singspiele schrieb. Diese zwischen 1775 und 1784 entstandenen Texte machten, so die Autorin, zusammen mit den später entstandenen Fragmenten von Opernlibretti fast ein Fünftel seiner dramatischen Produktion aus (S. 37, 45).

In Rom lernt Goethe die polyphone Kirchenmusik kennen und schätzen. Die zeitgenössische italienische Oper mißfällt ihm hingegen so sehr, daß er die Beförderung einer deutschen Oper aktiv unterstützt. Der gleichzeitige Erfolg Mozarts auf diesem Gebiet habe ihn, so Mühlenhoff, aber erkennen lassen, daß die eigenen Bemühungen, vor allem in Ermangelung eines adäquaten musikalischen Partners, fruchtlos seien (S. 52). Als er dann im Todesjahr Mozarts der Direktor des Weimarer Hoftheaters wird, ist die „sorgsame Pflege“ von Mozarts Bühnenwerken Teil der Goetheschen „Programmarbeit“ (S. 56).

In diesem Zusammenhang ist auch der Versuch Goethes zu sehen, einen zweiten Teil der Zauberflöte zu verfassen und auf die Bühne zu bringen. Dieser bleibt jedoch Fragment, Motive der Dichtung verarbeitet Goethe in späteren Werken weiter.

Johann Friedrich Reichardt wird in der Revolutionszeit und dann noch einmal im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts zu einem wichtigen Konterpart Goethes. Er vertont nicht nur zahlreiche Gedichte – in der von Goethe geschätzten Strophenform – und trägt dadurch enorm zu deren Verbreitung bei, sondern auch die Singspiele und schreibt Bühnenmusiken zu einigen Schauspielen Goethes. Zunächst entfremdet ihn die Parteinahme für die französische Revolution, später die schroffe Ablehnung Napoleons von Goethe. Nach 1808 lernt Reichardt in Wien die Romantik kennen und schätzen. Neben der eigenen Kompositionstätigkeit tritt Reichardt auch als Musiktheoretiker und
-kritiker hervor; nicht zuletzt der Umstand, daß er über Musik reden konnte, hatte ihn für Goethe ja so interessant gemacht.

Wichtiger, bedeutsamer und dauerhafter wird die Beziehung zu Carl Friedrich Zelter. Der Berliner Komponist wird neben Schiller zu Goethes wichtigstem Briefpartner; zwischen dem 26. August 1799 und dem 22. März 1832 (Goethes Todestag) schrieben sich die beiden Männer. 871 Briefe sind erhalten, die Veröffentlichung wird zwischen beiden Ende 1830 vertraglich geregelt. Die erste Ausgabe erscheint 1833/34.

Zelter ist kein Star, er verweigert sich einer durchaus möglichen Karriere am preußischen Hof und verschließt sich weitgehend musikalischen Neuerungen. In Berlin ist sein Name mit der im Jahre 1791 von Fasch gegründeten Singakademie und der von ihm im Jahre 1809 gegründeten Liedertafel verbunden. Die Singakademie Berlin ist die älteste gemischte Chorvereinigung der Welt, die Liedertafel der erste reine Männerchor in Deutschland. Zu seinen Schülern zählen Felix und Fanny Mendelssohn, Otto Nicolai und Giacomo Meyerbeer.

Zelter vertont zahlreiche Gedichte Goethes in der von diesem geschätzten Form des Strophenliedes; beide sind sich in der Ablehnung des Durchkomponierens einig. Zelter ist ihm wichtiger Gesprächspartner für die schon seit langem geplante Tonlehre, welche die Farbenlehre ergänzen soll.

So gehen zwei Menschen aneinander vorbei und sehen sich nicht. (S. 89)

Unglücklich verläuft die Beziehung zu Beethoven; der unabhängige Geist, der Hierarchien und Konventionen geringachtet, verträgt sich nicht mit dem in dieser Welt aufgehenden Goethe. Doch die wechselseitige Bewunderung für das Werk des anderen besteht, freilich bei Beethoven etwas größer als bei Goethe, der hier wohl auch unter dem konservativen Einfluß Zelters steht.

Auch die Tonkunst Schuberts entzündet sich am Text von Goethes Gedichten. Seine kongeniale Vertonung des Erlkönig findet zunächst nicht den Beifall des Dichters, der Reichardts Strophenversion vorzieht. Eine Darbietung durch die berühmte Sängerin Schröder-Devrient im Jahr 1826 gefällt ihm allerdings, weil ihm ein Gesamtbild gegeben wird. Musik erfordert ein regelmäßiges aktives Hinhören und die zum geistige Nachvollzug nötige Offenheit, so seine Erkenntnis. Diese Anstrengungsleistung muß immer wieder neu erbracht werden.

Seit 1807 finden bis 1816 (dem Todesjahr von Christiane) und danach bis zu seinem eigenen Tode in kleinerem Rahmen regelmäßige Hausmusiken statt. Dabei musiziert nicht nur die Hausgemeinschaft und ein paar Weimarer Freunde, es kommen auch namhafte Komponisten als Gäste: neben Zelter auch Carl Maria von Weber, Ferdinand Hiller, Gaspare Spontini und Felix Mendelssohn Bartholdy. Noch 1831 erlebt er die damals 12-jährige Clara Wieck am Klavier.

Gegenüber Zelter bezeichnet sich Goethe einmal als „Ton- und Gehörlose[n], obgleich Guthörende[n]“ (Brief vom 2. Mai 1820); er kann im damaligen Sinne als Musik-Dilettant bezeichnet werden (S. 109f.)

Fazit:

Eine kurzweilige Lektüre, die bisweilen den Plauderton streift, aber auf diese Weise unterhaltend belehrt und belehrend unterhält.

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7 Antworten zu Im Vielklang der Musen: Goethe, die Frauen und die Musik

  1. flattersatz schreibt:

    „Zelter ist kein Star, er verweigert sich einer durchaus möglichen Karriere am preußischen Hof und verschließt sich weitgehend musikalischen Neuerungen.“. In dieser Verweigerung der nach der französischen Revolution und Napoleon anbrechenden „Beschleunigung“ des Lebens sind sich die beiden, Zelter und Goethe, einig. Der Briefwechsel spiegelt dies wieder, in dieser Beziehung ist auch das kürzlich von mir besprochene Büchlein von Osten: Manfred Osten: Alles veloziferisch oder…. interessant. Nach Osten konnte Goethe sich stundenlang bei Bach´scher Musik entspannen, während im Mozart schon zu „beschleunigt“ war.

    herzliche grüße und danke für den buchhinweis!

    • nweiss2013 schreibt:

      Interessant! Mühlenhoff schreibt, Goethe habe Mozart früh bewundert und Bach erst im Rahmen der Renaissance durch Mendelssohn kennengelernt, dann aber sehr geschätzt.

      • flattersatz schreibt:

        das hat mich jetzt verunsichert… und ich rudere zurück! ich habe im buch jetzt nur noch die bewundernden passagen über bach gefunden und muss davon ausgehen, daß die bemerkung zu mozart in der diskussion (wir hatten den essay in meinen lesekreis besprochen) gefallen ist. da war ich wohl eben zu wenig sorgfältig… sry.

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  5. Jetzt erst diese Notiz in den Weiten des Netz‘ gefunden – daher Monate später, aber nicht weniger freudig: Vielen Dank fürs aufmerksame Lesen, bewerten, kommentieren und bloggen! Da wurde der Vielklang der Goetheschen Musen doch genau richtig erfasst.
    Herzliche Grüße! 🙂

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