Die neue Rubrik „Dienstagsposting“ soll dazu dienen, kurz eine Person, ein Buch, eine Musikaufnahme oder einen Ort vorzustellen.
Aus aktuellem Anlaß habe ich einen Roman von Hans Fallada ausgewählt: »Jeder stirbt für sich allein« – und veröffentliche das Dienstagposting bereits am Montagabend, denn es ist ein besonderer Beitrag.
Wie der Titel „Widerstand“ andeutet, geht es um die aktuellen, unfaßbaren Zustände in unserem Land. Ein radikaler, haßerfüllter Mob hetzt im Netz und in der Realität gegen Flüchtlinge, zündet Aufnahmeeinrichtungen an und propagiert eine rückwartsgewandte Ideologie.
In meiner politischen Sozialisation gibt es klare Fixpunkte, dazu gehören eine unzweideutige Verankerung in der westlichen Zivilisation, gewappnet mit einem transatlantischen Bündnis und realisiert in einem vereinigten Europa, der Glaube an die Kraft von Bildung und Aufklärung und – daraus resultierend – die Ablehnung von jeglichem Totalitarismus.
Die Straßenschlachtatmosphäre, die Verhöhnung des Rechtsstaates, die dummdreiste Herabwürdigung von Menschen sind schrecklich. Ich hätte nicht gedacht, das nach den Geschehnissen in den frühen 1990er Jahren noch einmal erleben zu müssen.
Falladas Roman ist ein eindrucksvolles Zeugnis eines Zeitgenossen, der den Terror der Hitlerdiktatur und die bereitwillige Unterordnung, das Mitmachen aus Schwäche und das tatenlose Beiseitestehen selbst miterlebt hatte. Er greift einen echten Fall auf und erzählt ihn lakonisch und gleichzeitig mit epischer Wucht. Das Buch wurde vom Aufbau Verlag 2011 in ungekürzter Form neu aufgelegt.
Die Aktionen des Ehepaars Quangel, das Karten beschreibt und ablegt, bleiben wirkungslos, beide werden schließlich ermittelt und zum Tode verurteilt:
»Aber Sie können ein Gnadengesuch machen«, sagte der Anwalt.
»An den Führer?«
»Ja, an den Führer.«
»Nein, danke.« (S. 629)
Daraufhin erklärt der Anwalt, ein Gnadengesuch einzulegen und fragt:
»Sagen Sie, warum haben Sie das eigentlich getan?«
»Was getan?«, fragte Quangel, ohne den Gebügelten anzusehen.
»Diese Postkarten geschrieben. Sie haben doch nichts genützt und kosten Ihnen nun das Leben.«
»Weil ich ein dummer Mensch bin. Weil mir nichts Besseres eingefallen ist. Weil ich mit einer anderen Wirkung rechnete. Darum!«
»Und Sie bedauern es nicht? Es tut Ihnen nicht leid, wegen solch einer Dummheit das Leben zu verlieren?«
Ein scharfer Blick traf den Anwalt, der alte, stolze, harte Vogelblick. »Aber ich bin wenigstens anständig geblieben«, sagte er. »Ich habe nicht mitgemacht.« (S. 630)
Diese Botschaft ist wichtig, und in der Summe kann das Anständigsein etwas bewirken. Es sollte uns leichter fallen als den Quangels und den hier ungenannten aufrechten Menschen während der Nazizeit. Uns unterdrückt keine Diktatur mit Gestapo und Konzentrationslagern. Wir müssen Stellung beziehen gegen eine radikale Minderheit, gegen Menschen, die Freiheit und Menschenwürde mit Füßen treten und eine Staats- und Gesellschaftsordnung anstreben, die niemand wollen kann.
Nie Wieder!
Starkes Buch! Sofort wieder präsent. Danke für den Beitrag.
Das Buch habe ich in den 1980-er Jahren gelesen, sehr beeindruckend. Inwieweit gab es damals Kürzungen? Wird das in der Neuausgabe erklärt?
Ja. Es gab Streichungen des Lektors, heißt es im Nachwort. Nun sei der Text wieder rauher und authentischer im Sinne Falladas.