Der Roman ist 2015 erschienen und mein Exemplar ist bereits Teil der fünften Auflage. Ich habe es vom Bloggerportal erhalten. Es ist Gegenstand einer Leserunde des neuen Blogs Let′s talk about books. Bis zum 8. August wird das Buch dort gelesen und diskutiert, also fange ich auch an (1. August 2015) und ziehe das Buch vor. Eigentlich wäre anderes abzuschließen oder – wie hier beschrieben – in Angriff zu nehmen.
Das erste Kapitel, zehn Seiten kurz, ist ein gut gemachter Einstieg, stellt Personen, Orte der Handlung und das Problem vor. Ich bin interessiert.
Die Protagonistin Isabell – von der Erzählerin mit „sie“ bezeichnet – durchlebt ihren Alltag, und wir Leser haben an Beobachtung, Gefühlen und Gesprächen teil. Das „Prenzelberg-Milieu“ einer jungen Akademikerfamilie mit Kind wird angenehm unaufdringlich gezeichnet – was vor allem daran liegt, daß das Buch in Hamburg spielt, wie ich im Laufe der Lektüre herausfinde. Kapitel drei bringt einen Perspektivwechsel und erlaubt einen Blick auf eine generelle Unzufriedenheit und Unsicherheit, die die Protagonisten beherrscht. Während Isabel fürchtet, nicht mehr sicher Cello spielen zu können, ist Georg genervt und informiert sich über Bauernhöfe in Schleswig-Holstein. Diese Fluchtoption ist freilich sehr unrealistisch, was es wohl nicht besser für ihn macht.
Bilkau präsentiert in klarer Sprache – überwiegend aus der Perspektive von Isabell – Rückblicke auf das Erwachsenwerden, Ausblicke auf das Älterwerden, beschreibt Familienszenen, Erfahrungen von Mutter- und Elternschaft, die Fixiertheit auf das Kind, stete Sorge, Splitter aus beider Berufswelt. All das wird sehr einprägsam und realistisch geschildert, vermeidet Idealisierung, ja ist mitunter von schonungsloser Offenheit (S. 58f.). Die Sprache ist nur selten und eher nebenbei poetisch; der säuerliche Geruch des Kleinkindes wurde mir etwas zu oft betont.
Vieles bewegt sich im Dreieck Freiheit – Verantwortung – Angst; etwa der sich zum gefühlten Ausbruch auswachsende nächtliche Gang zum Supermarkt, um Bier und Chips zu kaufen, während das Kind allein in der Wohnung bleibt. Angst erwächst auch aus der prekär werdenden Beschäftigungssituation, aus Momenten der Unsicherheit dem Verlust der Unbeschwertheit.
Sehr gut gefällt mir, wie Bilkau auf nur einer Seite (Kapitel 14) den tragischen Knoten schürzt.
Diese Besprechung besteht, die waagrechte Linie macht es deutlich, aus zwei Teilen; am Anfang stand das unmittelbare Festhalten von Leseeindrücken. Nun aber habe ich das ganze Buch gelesen (beendet am 5. August 2015) und weiß seither nicht, welches Fazit ich ziehen, wie ich meine Besprechung abschließen soll. Daher bleibt der Text oben so stehen und wird hier nun um Passagen „unter dem Strich“ ergänzt.
Worum geht es?
Ein Paar mit einem kleinen Kind ist nach beiderseitiger Arbeitslosigkeit mit der Gefahr des sozialen Abstiegs konfrontiert. Die Ehe ist daraufhin Belastungen ausgesetzt. Der Tod seiner Mutter löst Blockaden und die beiden fassen Hoffnung.
Was ist mir aufgefallen?
Das Buch ist gut geschrieben, die Autorin hat einen soziologischen Blick und fokussiert ihren Text ganz auf die Gedankenwelt der beiden Protagonisten, die ihr Tun und ihre wechselseitigen Beobachtungen fortwährend reflektieren, aber miteinander nicht die richtigen Worte finden.
Angst vor dem Versagen ist die große Konstante des Texts. In einer Welt, in der das Versagen keinen Platz hat (S. 256), wirkt diese Angst besonders bedrohlich, obwohl die wenigen und sehr oberflächlichen Bekannten des Paares dessen Verschwinden wohl nur am Rande registrieren würden. Doch die „Freiheit, ein kleinbürgerliches, überschaubares Leben zu führen“ (S. 179), die der Mann kurz erwägt, hat keine Chance bei seiner Frau.
Ist das Überheblichkeit? Nichtmehrzurückwollen? Trotz? Realitätsverweigerung? Nun, die Realität dringt schrittweise in das Leben des Paares vor. Jobverlust, Mieterhöhung, Tod der (Schwieger)Mutter. Und am Ende finden die beiden auch wieder Worte füreinander, werden aktiv und versuchen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen.
Wie im richtigen Leben gibt es kein Happy End, aber eine Chance. Und die Erkenntnis, daß man als Paar nur gemeinsam weiterkommt. Das ist immerhin etwas.
Mein Fazit:
Ein gutes, ein lesenswertes Buch. Ja, doch! Eines, das mich neugierig macht, wie ich es in fünf Jahren finden werde. Wird es ein Zeitdokument sein oder Zeugnis von German Befindlichkeit?
Da haben wir einen ähnlichen Eindruck vom Buch bis hin zu deinem Fazit. Und den Ausdruck „German Befindlichkeit“ muss ich mir unbedingt merken.
Lieber Norman,
ich habe mich auch schon gefragt, wie der Roman in fünf oder zehn oder gar fünfzehn Jahren wirkt. Werden wir ihn noch einmal in die Hand nehmen? Werden wir, wie in einem Böll, sofort wieder das Gefühl haben, in der Vergangenheit zu sein, in dem „Mief“ der 2010er Jahre? So richtig zeitlos, wie ein Goethe oder Mann scheint mir der Roman nicht zu sein, weil er zu deutlich auf Gegenwärtiges fokussiert ist.
Viele Grüße, Claudia
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