Wege zum Ersten Weltkrieg

Ich habe bereits erwähnt, daß ich derzeit (u.a.) „The Sleepwalkers. How Europe went to war“ von Christopher Clark lese. Die deutsche Übersetzung wurde unlängst vielfach und positiv besprochen. Lediglich Volker Ullrich wähnte in der Zeit, daß das Deutsche Reich zu gut und unschuldig wegkomme. Das kann ich beim derzeitigen Lesestand noch nicht beurteilen, nehme aber an, daß die angelsächsische Fairneß des Autors Ullrichs vorgefaßten Erwartungen nicht entspricht.

Die detailreiche Darlegung von Kleinigkeiten, aus denen sich die zum Kriegsausbruch führenden großen Linien ergaben, ist sehr interessant und beschränkt sich nicht auf Berlin, sondern nimmt alle Akteure in den Blick.

20130915-212700.jpgIch mußte aber die Lektüre unterbrechen, um die breitangelegte Studie George F. Kennans hervorzuholen: „Bismarcks europäisches System in der Auflösung. Die französisch-russische Annäherung“, 1979, dt. 1981. [Erstmals las ich das Buch zur Abiturszeit.] Kennan unternimmt den Versuch, eine Verantwortung auch der anderen am Weltkrieg beteiligten Mächte nachzuweisen. Sein Buch gibt individuellen Akteuren – auch der mittleren Ränge und derjenigen ganz ohne Amt – breiten Raum. Es werden so aber auch Strukturen sichtbar, innerhalb deren sich diese Menschen bewegten, ob in den Zentren Paris, Berlin, St. Petersburg oder etwa in der bulgarischen Peripherie.

Im Fortgang der Lektüre beider Bücher werden sich, da bin ich mir sicher, interessante Vergleiche und mich überraschende Sichtweisen ergeben.

Ein Gespräch mit Clark gibt es auf faz.net.

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5 Antworten zu Wege zum Ersten Weltkrieg

  1. alphachamber schreibt:

    Hallo! Äußerst interessantes Gebiet. Meine Ansicht ist dazu die folgende:
    Unsere Geschichtsschreibung ist zwar nicht gefälscht wie es in autoritären Regime geschieht; aber entweder geschickt gekürzt, editiert oder tendenziös kommentiert. Alle wichtigen Dokumente sind vorhanden, zum Teil in Alliierten Archiven und einlesbar. In der Tat sind deren Berichte objektiver als unsere eigenen.
    Der Mythos des Deutschen Angriffs muss erhalten bleiben, damit der Rest der Geschichte sein politisch korrektes Ende nehmen kann! Die Alliierten profitierten von den Reparationen, die Juden und der Ostblock an der Wiedergutmachung, Deutschland hat ein exzellentes Alibi Israel gegen den Islam zu unterstützen und die ganze Welt profitiert von einer demütigen BRD. Paßt schon.
    Wer sich für die Realität interessiert (und sich nicht daran stört “revanchistischer, relativistischer reaktionärer Geschichts-Revisionist” genannt zu werden) sollte zeitgenössische Berichte lesen, ein guter Anfang wäre:
    “DEUTSCHLANDS AUSWÄRTIGE POLITIK 1888-1914″, Graf Ernst Reventlow, 1916.
    Gute Exemplare gibt es über ZVAB.com um 20.00 Euro. Es ist ergreifend und liest sich wie ein Krimi. Am besten hat man dazu noch eine Europa-Karte von der Jahrhundertwende (1900).
    Ich werde mir Ihre Empfehlungen mit Interesse vornehmen.
    Nette Grüße

    • nweiss2013 schreibt:

      Ich bin kein Historiker, meine aber, daß Kriegsschulddebatten überholt sind. Interessanter und aussagekräftiger sind Untersuchungen von Strukturen in den beteiligten Staaten und in den internationalen Beziehungen insgesamt.
      Fritz Fischers Kriegszielstudie bleibt ein wichtiges Buch, das einen Blick auf die Skrupellosigkeit der deutschen Eliten ermöglicht.

  2. alphachamber schreibt:

    Danke für Ihre Antwort. Es geht mir ebenfalls nur um die historischen Tatsachen.
    „…ein wichtiges Buch, das einen Blick auf die Skrupellosigkeit der deutschen Eliten ermöglicht…“
    Sehen Sie, bei Wissen geht es eben immer um etwas. Und eine Motivation für ein bestimmtes Wissen ist immer vorgegeben.
    Ich suchte mitnichten nach „Schuld“, sondern nach Fakten. Meiner Erfahrung nach sind die zeitgenössischen Werke (wie das von Reventlow) noch die ehrlichsten. 1. war er Zeitzeuge, 2. hatte man damals (generell) noch mehr Ehrfurcht vor der Wahrheit) 3. die Mittel zu einer Verdrehung und Manipulation waren limitiert und 4. politische Korrektheit war noch kein großer Faktor. (Ich vermeide politische Bücher, bis auf wenige Ausnahmen, welche über die Geschichte urteilen und nach, sagen wir ca. 1950 verfasst wurden.) Trotzdem werde Ihre empfohlenen Werke lesen.
    Was die „Skrupellosigkeit der deutschen Eliten“ angeht, werden sie von denen der Entente – nachweislich – bei weitem übertroffen. Was die Deutschen betrifft, werden wir ja schon erstickt mit den Nachweisen derer Blutrunst und Angriffslust.
    Wenn Sie ehrliches Interesse hegen, kommen Sie, mit Verlaub, nicht an Reventlows Werk vorbei.
    Nette Grüße

    • nweiss2013 schreibt:

      Das empfohlene Buch lasse ich mir gelegentlich aus der Bibliothek kommen. Ob die von Ihnen genannten ersten drei Gründe für die Ehrlichkeit zeitgenössischer Publikationen tatsächlich zutreffen, mag jeder unterschiedlich beurteilen.
      Persönlich halte ich es für wichtig, daß auch von deutschen Historikern mit der Legende der Reichsleitung aufgeräumt wurde, das Reich sei 1914 in einen Verteidigungskrieg gezogen. Damit ist in keiner Weise die Schlußfolgerung verbunden, in den anderen größeren und kleineren Hauptstädten Europas seien keine Kriegsvorbereitungen getroffen worden oder habe es keine expansiven Kriegsziele gegeben.

  3. alphachamber schreibt:

    „Persönlich halte ich es für wichtig, daß auch von deutschen Historikern mit der Legende der Reichsleitung aufgeräumt wurde, das Reich sei 1914 in einen Verteidigungskrieg gezogen.“
    Mit Respekt und ohne Sarkasmus: Warum halten Sie das „für wichtig“?
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich eine Nation schuldiger und demütiger verhalten kann, als die Deutschen (als Nation) es schon tun – bis hin zur Aufgabe der Souveränität in vielen Bereichen. Bitte wissen Sie, dass nach 40 Jahren Aufenthalt in Asien diese Dinge mich interessieren, aber nicht persönlich berühren. Habe hier politisch und kulturell „no axe to grind“. Diese Thema habe ich intensiv studiert, auch von ausländischen Quellen. Nach meinem jetzigen Wissenstand (aus Dokumenten z.B. der Österreich-Ungarischen Monarchie und zeitgeschichtlichen Bücher wie z.B. Turkey The Great Powers and The Bagdad Railway by Edward Mead Earle,1924, etc. etc.) ist es eben KEINE Legende. Auch dann nicht wenn ein paar Historiker sich der politisch korrekten Stömung beugen, aus welchen Gründen auch immer. (Das scheint ähnlich zu laufen wie bei den Klimaforschern!) Beweise hierfür ergeben sich nicht nur aus dem europäischen Umfeld. Die Geschehnisse um die Burenkriege, die Gebietstausche mit Helgoland und Afrika, Yangtse-Abkommen und Manila-Incident in Asien, der Venezuela-Zwischenfall und andere in S. Amerika, Deutsche beziehungen mit der Türkey (Baghdad-Bahn), die Rolle Belgiens, der Englische Handelsneid, Flottengesetze, Spannungen im Balkan, das (unauflösbare) Bündnis mit Österreich-Ungarn und nicht zuletzt die schlaue Diplomatie der Franzosen in Nord Afrika (Agadier Abkommen) und mit Russland, u.s.w. waren alles Teile einer komplexen Strategie, die Deutschlands Entscheidungsfreiheit erheblich limitierten.
    Ich möchte nicht argumentativ erscheinen – sicher haben Sie das alles schon in Betracht gezogen. Wenn ich neue Fakten lernen kann würde ich mich freuen.
    Beste Grüße

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