Ein Literaturpreis zweiter Klasse

Sylvie Schenk, Roman d’amour, 2021, 128 Seiten.

Sylvie Schenk, Roman d’amour | Foto: nw2022

Ringen da zwei Frauen miteinander oder nur eine mit sich selbst – und warum? Was war geschehen, was wurde erinnert, was aufgeschrieben – und wozu setzt sich eine Leserin all das zusammen?

Der schmale Roman tändelt über den Literaturbetrieb abseits der ersten Liga und führt die Protagonistin zu einer Buchpreisverleihung auf eine Nordseeinsel. Dort muß sie sich einem Interview stellen und hat dabei zunehmend Schwierigkeiten, den fiktionalisierten Inhalt des Buches von der persönlich erlebten Vorlage zu trennen – auch weil die Interviewerin partout herausfinden will, wie autobiographisch der Text nun ist.
Es geht um Erwartungen, Vorannahmen, Klischees – ausdrücklich formuliert oder internalisiert – bei der Produktion und Rezeption von Literatur, aber auch um die Versuche, authentisch zu sein.
Wieviel Maskerade muß eine Autorin betreiben, wenn sie über die Liebe einer alten Frau zu einem jüngeren, verheirateten Mann schreibt? Wie durchschaubar ist ihr Bemühen?

Das Interview führt zu Betrachtungen über das Schreiben, über Erinnerungen und das Altern, die nur zum Teil direkt in die Antworten einfließen. Wir haben Teil, wie die Ich-Erzählerin mit sich ringt und versucht, ihren Gedankenstrom zu regulieren. Entlang der Romanhandlung erlebt die Schriftstellerin ihre eigene Lebens- und Liebesgeschichte und spricht mal offener, mal eher in Andeutungen darüber mit der Interviewerin. Diese wirkt zunehmend bedrohlich auf die Ich-Erzählerin, die unter der Zudringlichkeit leidet und beständig fürchtet, die Kontrolle zu verlieren.

Insgesamt durchaus lesenswert, mit einer für mich ungewohnten Anlage und in gutem Stil geschrieben.

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2 Antworten zu Ein Literaturpreis zweiter Klasse

  1. Marie schreibt:

    Meine Erwartungen an das Buch waren anfänglich andere aber ich kann nicht sagen, dass es mich enttäuscht hat. Der Gedankenstrom der Protagonistin hat einen mitgerissen und ich hatte öfter das Gefühl diese Bedrohlichkeit selbst zu verspüren. Es ist also interessant zu hören, wie deine Meinung über das Buch ist. Für mich war es kein Jahreshighlight aber dennoch habe ich die Lektüre genossen. Liebe Grüße!

  2. Pingback: Lesemonat Januar 2022 | notizhefte

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