Theodor Fontane, Frau Jenny Treibel, 1893 (als Buch), 2005 (Große Brandenburger Ausgabe), 223 Seiten plus 150 Seiten Apparat.

Theodor Fontane, Frau Jenny Treibel | Foto: nw2020
Die Geschichte beginnt ohne Exposition, führt sofort die Titelfigur und weitere Hauptpersonen ein, charakterisiert diese und ihr Verhältnis zueinander und mündet sodann in eine für Fontane typische Situation, nämlich in ein Abendessen, welches hier natürlich Diner heißt.
Zur Handlung
Jenny Treibel, geborene Bürstenbinder, hat es von der Krämerstochter zur Fabrikantengattin gebracht; Treibel freilich hat für ihren Geschmack zu geringe Ambitionen – er ist bislang lediglich Kommerzienrat geworden und betreibt auch eine Kandidatur um ein Abgeordnetenmandat eher halbherzig – und allzu wenig Kunstverständnis. Die „Frau Commerzienräthin“ würde gerne in besseren Kreisen verkehren und auch ihre sentimentale Ader stärker gewürdigt wissen.
Letzteres findet sie bei Wilibald Schmidt, Gymnasialprofessor und einst quasi ihr Verlobter, der ihr ein Gedicht schrieb, das sie noch heute auf Soiréen zu Klavierbegleitung singt. Dieser, inzwischen Witwer, weiß, was von ihm erwartet wird, seit er für Treibel zurücktreten mußte.
Mit ihrem Ansinnen, Leopold, den jüngeren Sohn der Treibels zu heiraten, löst Schmidts Tochter Corinna heftige Gegenreaktionen von Jenny Treibel aus, die für ihren Sohn eine bessere Partie will und deshalb sogar den Widerstand gegen die Schwester ihrer Schwiegertochter aufgibt, gegen deren Hamburger Dünkel sie bislang in Opposition stand.
Nach einer Phase des Zuwartens, während derer Leopold, eher bläßlich und schwächlich, sich nicht zu einem Akt des Widerstands gegen die Pläne seiner Mutter aufraffen kann, gibt Corinna das Projekt der materiell lohnenden Vernunftehe auf und entscheidet sich für ihren Vetter Marcell Wedderkopp, einen Lehrer, dessen mögliche Beamtenkarriere kaum über die ihres Vaters hinausführen und mithin keine Verbesserung der Lebensumstände bedeuten wird.
Fontanes Aussage
Das Buch kreist um den Gegensatz zwischen Bildungs- und Besitzbürgertum, um die Frage, ob das Glück eher in den kleinen Verhältnissen des Gelehrtenstandes oder doch in den üppigeren der Bourgeoisie zu finden sei. Fontane bezieht hier klar Stellung, sowohl als Autor des vorliegenden Romans wie auch im wirklichen Leben, wie der Anhang durch briefliche und andere Äußerungen des Dichters belegt.
Der Bourgeois versteht nicht zu geben, weil er von der Nichtigkeit seiner Gabe keine Vorstellung hat. (Aus einem Brief Fontanes, S. 232)
Das stille Glück innerer Erfüllung bei materieller Bescheidenheit entsprach längst nicht mehr dem Stil der Zeit, der Gründerkrach war vergessen und Berlin entwickelte sich.
Ambivalent bleibt die Figur Treibels, der berechnender Geschäftsmann sein und gesellschaftliche Ambitionen zeigen muß und natürlich auch will. Gleichwohl geht ihm jede Überspanntheit ab und er will seine Ursprünge nicht verleugnen.
Grundvoraussetzung für das bürgerliche Leben ist übrigens gutes Personal, eine Erkenntnis, die sowohl von Professor Schmidt als auch im Hause Treibel formuliert wird.
Das zweite Thema des Buches ist das Eheleben. Fontane leuchtet es durch Gespräche unter Eheleuten aus – Treibel muß wie sein Sohn Otto manche Schlacht schlagen. Beim Lesen mußte ich immer an Wotan und Fricka denken: »Der alte Sturm, die alte Müh!«
Köstlich ist das Gespräch zwischen Treibel und dem Hausfreund Krola:
Treibel wiegte den Kopf. »Ja, sehen Sie, Krola, Sie sind nun so ein gescheidter Kerl und kennen die Weiber, ja, wie soll ich sagen, Sie kennen sie, wie sie nur ein Tenor kennen kann. Denn ein Tenor geht noch weit übern Lieutenant. Und doch offenbaren Sie hier in dem speciell Ehelichen, was doch wieder ein Gebiet für sich ist, ein furchtbares Manquement. Und warum? Weil Sie’s in Ihrer eigenen Ehe, gleichviel ob durch Ihr oder Ihrer Frau Verdienst, ausnahmsweise gut getroffen haben. Natürlich, wie Ihr Fall beweist, kommt auch das vor. Aber die Folge davon ist einfach die, daß Sie – auch das Beste hat seine Kehrseite – daß Sie, sag‘ ich, kein richtiger Ehemann sind, daß Sie keine volle Kenntniß von der Sache haben; Sie kennen den Ausnahmefall, aber nicht die Regel. Ueber Ehe kann nur sprechen, wer sie durchgefochten hat, nur der Veteran, der auf Wundenmale zeigt.« (S. 138)
Fontanes Stil
Ob Herrengespräch, ehefrauliche Standpauke oder Dienstbotentonfall – Fontane trifft alles!
Aber offen gestanden, die Ziegenhals ist mir lieber, drall und prall, capitales Weib, und muß zu ihrer Zeit ein geradezu formidables Festungsviereck gewesen sein. Rasse, Temperament, und wenn ich recht gehört habe, so pendelt ihre Vergangenheit zwischen verschiedenen kleinen Höfen hin und her. Lady Milford, aber weniger sentimental. Alles natürlich alte Geschichten, man könnte beinahe sagen, schade. (S. 46f.)
Nach der Auseiandersetzung zwischen Jenny Treibel und Corinna Schmidt um die Unangemessenheit der Verlobung heißt es:
In das Zimmer zurückgekehrt, umarmte Schmidt seine Tochter, gab ihr einen Kuß auf die Stirn und sagte: »Corinna, wenn ich nicht Professor wäre, so würd‘ ich am Ende Socialdemokrat.« (S. 189)
Als Marcell schließlich um Corinnas Hand angehalten hat, sagt der Professor:
Diese Treibelei war ein Irrthum, ein ›Schritt vom Wege‹, wie jetzt, wie Du wissen wirst, auch ein Lustspiel heißt, noch dazu von einem Kammergerichtsrath. Das Kammergericht, Gott sei Dank, war immer literarisch. Das Literarische macht frei… (S. 212)
Mein Fazit
Der Roman ist gut gestaltet, die Figurenzeichnung ist überzeugend, der Stil gefällt mir ausnehmend. Fontane orientiert sich meist an tatsächlichen Geschehnissen, realen Personen und bekannten Verhältnissen und amalgamiert daraus dann eine Geschichte, die zwar in der Summe Fiktion ist, aber kraft ihres Wiedererkennungswertes Wahrhaftigkeit erlangt.
Der Herausgeber des Bandes, Tobias Witt, nimmt im Anhang kluge Einordnungen vor. Die nachfolgenden Erläuterungen freilich sind sehr kleinteilig. Jede Bibelstelle, jedes Bismarckwort, jedes Schillerzitat und jedes Berliner Bauwerk werden nachgewiesen, hergeleitet und erläutert – ist das editorischer Ehrgeiz oder Unterstellung grenzenloser Unwissenheit bei den Lesern? Der „Nigger“ auf S. 51 bleibt hingegen unkommentiert – 2005 war die Welt noch eine andere.
Davon abgesehen sind die Bände dieser Ausgabe schön gestaltet und insgesamt empfehlenswert. Der Roman selbst ist stark, obwohl nicht so ausgreifend wie »Der Stechlin«, aber doch lesenswert. Rhythmus und Sprache sind sehr gut, Gedankenwelt und Konfliktlagen lohnen stets einen zweiten Blick.
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Während Schule und Studium habe ich Fontane eher mit Überwindung lesen müssen. Aber es kommt eine Zeit der Wiederbegegnung, manches braucht seine Zeit, den richtigen Augenblick. „Jenny“ war vor einigen Monaten Lektüre in meinem Lesekreis – und ich habe sie sehr genossen. Viele Grüße