Vortreffliche Frauen | Ein englischer Roman

Barbara Pym: Vortreffliche Frauen | Foto: nw2019

Barbara Pym: Vortreffliche Frauen | Foto: nw2019

Barbara Pym, Vortreffliche Frauen, 1952, dt. 2019 (aus dem Englischen von Sabine Roth), 349 Seiten. Im London der frühen Nachkriegsjahre beschreibt das Buch das Gemeinde- und Gefühlsleben einer unverheirateten Frau über Dreißig, deren Weg in die Altjüngferlichkeit vorgezeichnet scheint.

Inhalt und Gegenstand

Julian Malory, der Pfarrer von St. Mary, und seine Schwester Winifred sind zusammen mit Mildred Lathbury, einer verwaisten Pfarrerstochter und Ich-Erzählerin, das Kraftzentrum des Gemeindelebens in einem kaum noch vornehm zu nennenden Stadtteil von London. Das Leben, das bisher gemächlich seinen Gang gegangen war, wird durcheinandergewirbelt. In ds Haus, in dem Mildred wohnt, ziehen die Napiers ein. Sie ist Anthropologie, er Marineoffizier – und ihre während des Krieges geschlossene Ehe steht unter keinem guten Stern. Mit Allegra Gray, einer Pfarrerswitwe, erscheint ein neues Gemeindemitglied. Wenn aus drei Personen sechs werden, ergeben sich neue Optionen und Konstellationen.

Von deren Eintreten und Ausbleiben, von Verwicklungen und Mißverständnissen sowie von Komplikationen durch gelegentlich auftretende Rand- und Nebenfiguren handelt das Buch.

Es tut dies in einer präzisen Sprache, die mit wenigen Worten Stimmungen erfaßt und Personen charakterisiert, die lakonisch ist und immer wieder sehr humorvoll.

Konstellationen und Veränderungen

Wie schon eine Generation zuvor hat der Krieg Bewegung in die Gesellschaft gebracht, von der gerade die Frauen profitieren konnten. Ihre größere Selbständigkeit, die Selbstverständlichkeit der Erwerbsarbeit trifft in der anschließenden Restaurationsphase auf überkommene Moral- und Sittlichkeitsvorstellungen.  Und so geht es oft um die Notwendigkeit oder (letzte) Gelegenheit, eine Ehe einzugehen. Wann wird ein Gespräch zwischen einer Frau und einem Mann zu einem Flirt? Wessen Einschätzung ist dafür ausschlaggebend? Sind Frauen solidarisch miteinander oder immer (potentielle) Rivalinnen? Tratsch, Erinnerungen, traditionelle Konversation – das Buch bietet alle Aspekte des Zusammenlebens bei jederzeitiger, oft spröde wirkender Wahrung von Distanz und Haltung.

Wir gingen in die Kirche hinüber und fingen an, die Blumen zu sortieren und festzulegen, was wo verwendet werden sollte. Winifred als Julians Schwester beanspruchte wie immer das Vorrecht der Pfarrfrau, den Altar zu schmücken, auch wenn ich sagen muss, dass sie dabei oft keine ganz glückliche Hand hatte. Ich hatte mich von einem sehr bescheidenen Fenster, das niemand je bemerkte, zu Schwester Blatts Gehilfin beim Lettner hochgearbeitet, und zu zweit mühten wir uns damit ab, alte Schmalzfleischgläser mit Drähten so festzuzurren, dass sich Blumen hineinstecken ließen. Lady Farmers Lilien würden natürlich auf dem Altar stehen. Überall wurde geschwatzt, und ich musste an Trolles Beschreibung von Lily Dale und Grace Crawley denken, die sich beide in Kirchen so heimisch fühlten, daß sie es »an Ehrfurchtslosigkeit fast mit zwei Hilfspfarrern hätten aufnehmen können«. Eine Weile lief alles friedlich, jede Helferin werkelte emsig in der ihr zugeteilten Ecke, und Julian und Father Greatorex spazierten herum, lobten viel und halfen wenig. (S. 161f.)

Männer sprechen sich bei Mildred aus, ohne eine Partnerschaft in Betracht zu ziehen, sind aber empört und enttäuscht, sie erkennen oder zu erkennen glauben, sie interessiere sich für einen anderen Mann. Die Ehe ist – wie auch die verpaßte Ehe – Daseinszweck.

Einzuwenden, dass ich Julian Malory nie hatte heiraten wollen, schien mir verlorene Liebesmühe. Die Gemeinde hatte mich eindeutig zur Hauptverschmähten erkoren, und ich musste die Position mit soviel Würde bekleiden wie irgend möglich. (S. 229)

Kirchenbindung trifft auf Kirchenferne, Gemeinsinn auf Egoismus, Empathie auf Kaltschnäuzigkeit – was ist echt, was nur Fassade? In kurzen Dialogen loten die Figuren Spielräume aus und versichern sich gegenseitig ihrer Positionen oder ihres wechselseitigen Unverständnisses. Verbindungen werden ebenso angebahnt wie Trennungen vollzogen – und Mildred ist stets Beobachterin, wird aber auch in die Vorgänge hineingezogen, oft gegen ihren Willen.

Wir gingen wieder hinaus und in ein Café, das er kannte, eine Teestube, die mir noch nie aufgefallen war und die gute Kuchen hatte. Aber die Kuchen waren zweitrangig. Vielleicht lag es daran, daß ich reichlich und spät zu Mittag gegessen hatte, jedenfalls hatte ich kaum Hunger. Er war so heiter und amüsant, und er gab mir das Gefühl, selbst heiter und amüsant zu sein, und ein, zwei meiner Bemerkungen waren sogar tatsächlich recht witzig. (S. 103)

Falls ich mich durch Everards Einladung geschmeichelt gefühlt hatte, war ich nun wieder an den Platz gestellt, an den ich gehörte: den einer Frau, bei der die Topflappen an einem Haken neben dem Herd hingen. (S. 255)

»Übertreib’s besser nicht, sonst denkt er, du wärst hinter ihm her.«

Ich gab ihr recht, dass das ungünstig wäre, und stellte mir Williams Knopfaugen vor, rund und entsetzt. (S. 272)

In mancherlei Hinsicht ist das Buch eine Variation des berühmten Satzes von Loriot, Männer und Frauen paßten einfach nicht zusammen. Alle, oder jedenfalls die meisten Figuren des Buches sind guten Willens, machen einander aber trotzdem das Leben schwer.

Muß man sich lieben, um zu heiraten? Reichen auch Sympathie, Bewunderung, Respekt oder Wertschätzung aus? Was empfinden Menschen überhaupt füreinander?

Die Autorin verordnet ihrer Heldin keine tiefschürfenden Gedanken über diese untergründigen Dinge, läßt sie aber auch nicht nur im richtigen Augenblick ganz patent eine Tasse Tee reichen. Am Ende werben drei Männer um sie. Aber die Aussichten sind nur teilweise verlockend.

Mein Fazit

Ein sehr unterhaltsamer Roman, flüssig geschrieben und dazu als Sittengemälde ein interessantes Zeitdokument – freilich mit einem sehr überholten Frauenbild. Dennoch klare Leseempfehlung!

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