Vom 4. bis zum 6. Dezember 2015 habe ich wieder mal einen Kurzurlaub in Hamburg verbracht. Drei Begegnungen und drei Museumsbesuche standen auf dem Programm.
Am Freitag gelangte ich nicht nur zügig nach Hamburg und in mein Hotelzimmer, sondern ging als erstes in die Buchhandlung Felix Jud, wo ich ein Buch des Sängers Ian Bostridge über Schuberts Winterreise erwarb und setzte mich anschließend in die Bricks Tea Lounge-Bar, um ein wenig darin zu blättern.

Foto: nw2015
Danach besuchte ich noch das „Bucerius Kunst Forum“. Hier wird eine sehr schöne und eindrucksvolle Entwicklungsausstellung gezeigt: »Von Poussin bis Monet. Die Farben Frankreichs«. Der Wandel von der höfischen Repräsentationskunst zur individuellen Empfindungsverarbeitung, gesellschaftlich engagierten Stellungnahme und zur eigenständigen Aussage wird hier anhand des Farbeinsatzes herausgearbeitet.

Monet: Hochwasser, 1881 Foto der Katalogabbildung: nw2015
Abends dann das erste Treffen, organisiert von meinem Freund Alexander, der jetzt in München lebt und an diesem Wochenende zufällig auch in Hamburg war. Das war sehr nett und eine schöne Ergänzung meines Wochenendes.
Nach dem Frühstück stand am Samstagvormittag der Besuch des Hamburg Museums auf dem Programm. Das 1908 gegründete Haus bietet eine ausführliche Stadt- und Hafengeschichte mit interessanten Modellen und Karten, aber auch Gemälden und Fotos, dazu beeindruckende Schiffsmodelle, Filme und Hörinseln. Besondere Räume über die Reformation und die Hamburger Kirchen, die Stadt im Dreißigjährigen Krieg und zum Überseeschiffsverkehr.
Dabei fiel mir auf, daß die Abteilung über die Kolonialzeit primär aus einer Handelsperspektive, überwiegend mit affirmativen Exponaten aus der Zeit zwischen 1884 und 1918 gezeigt wird und die eher kargen Texte nur wenig Information und Aufklärung liefern. Schulklassen benötigen hier eine kompetente Begleitung.
Beeindruckend war die Präsentation eines jahrhundertealten Architekturmodells des Salomonischen Tempels. Auf der Museumswebseite heißt es dazu:
Zu den prominentesten Stücken des Museums für Hamburgische Geschichte gehört ein weitgehend aus Holz bestehendes Modell des Salomonischen Tempels. Nun wird es nach umfassender Restaurierung wieder präsentiert.
Auftraggeber für das Hamburger Tempelmodell war der Jurist und Ratsherr Gerhard Schott (1641– 1702). Im Jahre 1677/78 war der vielseitig gebildete Schott maßgeblich an der Gründung der Hamburger Oper am Gänsemarkt, der ersten bürgerlich initiierten Oper im deutschsprachigen Raum, beteiligt und bis 1693 ihr erster Direktor. Ab etwa 1680 ließ er das Modell von erschiedenen Handwerkern in großer Feinarbeit anfertigen. Historischen Berichten zufolge war es in einem Nebenraum der Gänsemarktoper ausgestellt, als dort 1692 die Oper „Die Zerstörung Jerusalems“ aufgeführt wurde. Als Bühnendekoration war es also nicht gedacht. Der Grund, ein solch aufwändiges Stück herstellen zu lassen, muss in dem seinerzeit enormen Interesse gesucht werden, diesen Ort der Vollkommenheit zu erfassen. Traditionell galt der Salomonische Tempel als Symbol vollkommener Ordnung auch im übertragenen Sinn, also auch der Ordnung der Welt und somit der Ordnung im Staat. In Anspruch genommen wird er in der Zeit des Barock für die Propagierung einer obrigkeitlichen Ordnung im Sinne einer christlichen heiligen Stadt, die sozialen Frieden und göttliche Gerechtigkeit beschwört.
Mit seinem Grundmaß von knapp 3,50 × 3,50 m ist es das größte historische Modell eines einzelnen Architekturkomplexes.
Das Modell war schwierig zu fotografieren, der ich habe es trotzdem versucht:

Gesamtansicht des Modells Foto: nw2015

Ausschnitt Foto: nw2015

Computeranimation des eigentlichen Tempels Foto: nw2015
Gut passend zum Tempel König Salomons gibt es die ständige Ausstellung »Juden in Hamburg«.
Gezeigt wird die Geschichte jüdischen Lebens in Hamburg von der Ansiedlung der Sephardischen und Aschkenasischen Juden um 1600 bis zum Holocaust, wobei neben den großen geschichtlichen Linien auch Fragen des individuellen Lebens thematisiert werden. Zu sehen ist auch ein nachempfundener Innenraum einer Synagoge. Emanzipation, Diskriminierung, Vernichtung. Nach diesem spezifischen Dreiklang deutscher Geschichte gibt es nach meinem Empfinden nur eine recht zaghafte – und wohl erneut gefährdete – Fortführung in die Gegenwart („schrumpfende Gemeinde“).
Am Nachmittag traf ich mich zu einer üppigen Advents-Tea-time und ausführlichem Gespräch mit Tilman von 54books in der Wohnhalle des Hotels Vier Jahreszeiten. Abends Aperitif in der CampariLounge und Essen mit meiner ehemaligen Kollegin Maria in einer schmucken Weinbar in der Langen Reihe.
Nach dem Frühstück am Sonntag begab ich mich in die Kunsthalle zur Ausstellung »Nolde in Hamburg«. Ernst Nolde besuchte Hamburg regelmäßig, oft nur als Durchgangsstation, verbrachte aber im Frühjahr 1910 mehrere Wochen in einem Hotel auf St. Pauli und beschäftigte sich vor allem mit dem Hafen. Die Ausstellung thematisiert diese ertragreiche Phase, stellt aber auch dar, wie Hamburger Sammler und Museen den Künstler Nolde aufnahmen und förderten. Dies ist durchaus eine wechselvolle Geschichte.
Der Katalog (Prestel, in der Ausstellung 29.- Euro) ist schön bebildert und bietet interessante Texte zum Durchbruch der Moderne in Deutschland.
Unter dem Titel »Italienbilder der Romantik« zeigt die Kunsthalle die umfangreiche Produktion von Franz Ludwig Catel. Auch wenn ich seinen Namen noch nie gehört habe, ist der Stil seiner Werke mir jedoch bekannt vorgekommen. Auf der Webseite der Kunsthalle heißt es:
Nach Rom! Generationen von Künstlern verband dieses Ziel. Italien war für sie Land der Sehnsucht, der Antike, vermeintlicher Ort der Sorg- und Zeitlosigkeit. Die Erfahrung der Bergwelt beim Überqueren der Alpen, die Auseinandersetzung mit der Antike und die leuchtende Farbigkeit des südlichen Lichtes wurden für viele Künstler zum entscheidenden Erlebnis im künstlerischen Reifeprozess, so auch für Franz Ludwig Catel. Nach Jahren der Ausbildung und des Studiums in Berlin, Dresden und Paris zog es Catel 1811 in die Ewige Stadt, wo er zu einem wichtigen Exponenten der römischen Künstlergemeinschaft werden sollte. Seine stimmungsvollen, häufig um pittoreske Genremotive bereicherten Landschaftsbilder erfreuten sich großer Beliebtheit bei einem internationalen Kreis von Auftraggebern.

Franz Ludwig Catel: Gespräch bei Cicero Foto: nw2015
Richtig begeistert war ich nicht, aber im 19. Jahrhundert muß der Maler ungeheuer erfolgreich gewesen sein.
Zum Abschluß bin ich noch durch die – während der noch andauernden Umbauphase – reduzierte Dauerausstellung gegangen und habe auf die Werke von Caspar David Friedrich, Edvard Munch und vielen anderen zumindest einen Blick geworfen.

George Grosz, John, der Frauenmörder, 1918 Foto: nw2015
Wieder draußen, habe ich mir noch einmal den Wind um die Nase wehen lassen und bin zum Michel, der Hauptkirche St. Michaelis, gegangen. Wegen einer Veranstaltung konnte ich aber leider nicht hinein. In der Nähe habe ich dann das Café Milch entdeckt, wo es einen sehr guten Flat White nebst Apfelkuchen mit Schmand gab.
Vielen Dank für diesen wunderbaren Reisebericht. Am liebsten würde ich deine Kurzreise exakt genau so nachvollziehen. Das Teehaus! Da sieht man den Genuss schon überdeutlich. Die Museen! Mich hätte wahrscheinlich der Catel am meisten interessiert, gerade, weil er auch mir noch nicht sooo bekannt ist. Und dann das schöne Foto mit Notizbuch und der Pelikan M-Füllfeder. In meinen Augen die schönste Füllfeder aller Zeiten. Hätte ich am liebsten in allen Größen und Farbvarianten zu Hause. Welche ist deine? M800? M600? M400?
Liebe Grüße, Wolfgang / buchwolf
Lieber Wolfgang,
ich freue mich über die begeisterte Rückmeldung! Es waren schöne Tage mit viel Stoff zum Nach-Denken.
Das ist ein M400 in blau.
Viele Grüße
Norman
Vielen Dank für die Information. lg, buchwolf
Bostridge’s Buch ist ebenso brilliant wie Schuberts Zyklus. Mehr zum Zyklus morgen ab 09.30 unter dechareli.net