Eine Atlantiküberquerung: Das Narrenschiff von Katherine Anne Porter

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Foto: nw2016

Das Narrenschiff von Katherine Anne Porter ist ein umfangreiches Buch über eine kurze Episode der Zwischenkriegszeit.

Worum geht es?

Dieser Roman schildert eine Überfahrt von Veracruz nach Bremerhaven im Jahre 1931. Deutsche auf dem Weg in die (ihnen meist fremd gewordene) Heimat, Spanier, Kubaner und Mexikaner, ein Schwede und mehrere Amerikaner reisen nach Spanien und Deutschland. Auf dem Zwischendeck werden achthundertsechsundsiebzig Menschen, für die es auf Kuba keine Arbeit mehr gibt, nach Teneriffa befördert. Rassismus und Antisemitismus sind präsent, der Gegensatz zwischen Reichtum und Armut, sexuelle Begierden sowie Autoritätskonflikte prägen der Zusammenleben der Zufallsgemeinschaft.

Was fiel mir auf?

Das Buch erschien 1962 in den USA – nach dreißig Jahren Schreibarbeit!, denn initiiert wurde es durch eine Überfahrt der Autorin von Veracruz nach Bremerhaven im Jahre 1931 -, ein Jahr später kam es in Deutschland heraus, wo es auf Unverständnis und Ablehnung stieß. Die damalige Übersetzung ist, so der Verlag, nur leicht überarbeitet wiederveröffentlicht worden, da sie den Ton und Stil des Originals kongenial transportiere.

Porter beobachtet ihre Figuren aus der Nähe, wechselt die Perspektive und läßt sie sich gegenseitig beobachten, führt sie durch viele Dialoge und zeichnet Charaktere, Gewohnheiten und Überzeugungen in der sozial, national und altersmäßig gemischten Gruppe sehr klar nach.  So entsteht ein vielschichtiges Gesellschaftspanorama.

Ein Thema ist natürlich die Liebe:

„Während er seine Herzenskälte als eine wirkliche innere Kraftreserve spürte, lächelte er ihr mit der Liebenswürdigkeit zu, die sie stets bezauberte; er streckte den Arm aus und legte seine Hand warm auf die ihre. «Jenny-Angel», sagte er.“ (S. 68)

Ein anderes sind die Arbeitslosen auf dem Zwischendeck:

„Herr Rieber und Lizzi Spöckenkieker promenierten auf dem Deck und Lizzi rief der kleinen Frau Otto Schmidt, in deren weichem, rosigem Gesicht inniges Mitgefühl zu lesen war, kreischend zu: «Oh, wie finden Sie diesen schrecklichen Mann? Wissen Sie, was er eben gesagt hat? Ich sage zu ihm: ‹Ach, diese armen Leute, wie kann man ihnen nur helfen? ›, und dieses Scheusal…», sie stieß ein halb hysterisches, halb entrüstetes Wiehern aus, « antwortet: ‹Ich würde sie alle in einen großen Herd stecken und den Gashahn aufdrehen. › Oh, sagte sie tonlos, sich vor Lachen krümmend, haben Sie schon einmal so eine originelle Idee gehört?»

Herr Rieber stand, sehr zufrieden mit sich, mit breitem Lächeln daneben. Frau Schmitt wurde ein bisschen blass und sagte in mütterlich strengem Ton: «Manche Ideen sind vielleicht zu originell – pfui! Ich finde das gar nicht komisch!» Herrn Riebers Lächeln erstarb, sein Mund verzog sich schmollend.

Lizzi sagte: «Oh, er hat das natürlich nicht böse gemeint; nur ein bisschen ausräuchern, nicht wahr?»

«Nein, ich habe nicht ausräuchern gemeint», antwortete Herr Rieber störrisch.

«Na, das finde ich aber gar nicht nett», sagte Lizzi in so nachsichtigem, mehr als verzeihendem Ton, dass er sofort wieder mutig wurde.“ (S. 89)

Frl. Spöckenkieker und Herr Rieber umkreisen einander in meist lächerlich wirkender Wollust, es kommt aber auch zu einer versuchten Vergewaltigung, die von einem Hund in einer Art und Weise beobachtet wird, die mich an Zolas Thérèse Raquin erinnerte, wo eine Katze als stumme Zeugin den Ehebruch beobachtete. David-Darling und Jenny-Angel machen sich das Leben gegenseitig ganz furchtbar schwer, der Schiffsarzt mit seinem „herrlichen“ Schmiß verfällt der geheimnisvollen und ätherabhängigen Condesa, die spanischen Tänzerinnen machen die alleinreisenden Herren ganz kirre und auch die Ehepaare geraten in den Sturm der Hormone. Der Sohn in der elterlichen Kabine fürchtet sich freilich bei den Geräuschen, die die Eltern bei diesen Gelegenheiten im Dunkeln machen.

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Foto: nw2016

Neben Sex geht es auch um Politik. Der mitreisende Jude wird stillschweigend isoliert, aber als herauskommt, daß einer der Deutschen mit einer Jüdin verheiratet ist, drängen die Passagiere den Kapitän, ein Exempel zu statuieren. Der Kapitän ist ohnehin ein autoritätsfixierter Charakter, der trotz seines vorgerückten Alters auch den neuen Machthabern bald sicher gute Dienste leisten wird.

Ein schreckliches Zwillingspaar, zwei kleine Kinder, sind das personifizierte Böse und sorgen für allerlei Unheil.

Insgesamt ist viel los, aber die Charaktere reflektieren auch in langen Passagen über das Leben und den Tod, die Liebe, Männer und Frauen, die Juden. Das Buch liest sich sehr gut, ist fesselnd und ließ mich auch immer wieder ins Nachdenken versinken.

Zum Schluß ein Zitat für die feierwütige Jugend:

„[…] dann wachte er mit so entsetzlichen Kopfschmerzen auf, dass er glaubte, der Schädel müsste ihm platzen; sein Magen hob sich, er hatte brennenden Durst, und sein Inneres war so durcheinander, dass es die Aufnahme seiner einzigen Freunde, Aspirin und kaltes Wasser, verweigerte.“ (S. 651)

Mein Fazit:

Ein fesselnd geschriebenes Buch, in dem bis heute wichtig gebliebene Themen behandelt werden. Die Zeitverhaftetheit der Darstellung macht aus meiner Perspektive den besonderen Reiz der Lektüre aus, Kritik, Pathos und Humor sind echt, nicht karikierend. Insgesamt eine klare Leseempfehlung.

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4 Antworten zu Eine Atlantiküberquerung: Das Narrenschiff von Katherine Anne Porter

  1. saetzebirgit schreibt:

    Ach, das liegt immer noch ganz oben auf meinem Stapel der Bücher, die ich wiederlesen will. Beim ersten Mal, kurz nach der Neuauflage von Manesse, bin ich durchgaloppiert in einem Leserausch: Es ist auch sehr, sehr gut geschrieben. Ich muss mir dafür nochmal Zeit nähmen, angemessen wäre eine Schifffahrt :-)Es freut mich, dass Du es auch nochmals empfiehlst – das ist es wert.

    • nweiss2013 schreibt:

      Ja, ich hab da eure Idee aufgegriffen, gelegentlich eine ältere Besprechung neu zu posten, wenn mir das Buch besonders gut gefallen hatte.

      • saetzebirgit schreibt:

        Das dachte ich mir 🙂 Aber wie man am Narrenschiff sieht – eine gute Idee. Bevor man von Neuerscheinung zu Neuerscheinung (nach denen vielleicht nächstes Jahr kein Hahn mehr…), lieber doch auf die klassischen, haltbaren Bücher mit längerem Nährwert öfter hinweisen…! Das Narrenschiff liegt seit vorhin übrigens wieder ganz oben auf dem SUB, dank Deiner Erinnerung daran.

  2. buchpost schreibt:

    Hier liegt es auch noch auf dem Stapel und harrt der Erstlektüre. Freue mich drauf. Danke für die Erinnerung!

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