Sommerfrischenlektüre

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Foto: nw2015

Ich bekenne, alles von Agatha Christie gelesen zu haben − der für mich einzigen Queen of Crime. Und ungezählte Inspector-Pitt- bzw. Detective-Monk-Krimis (aus der Feder von Anne Perry), allerlei gute Oxford- und Cambridge-Krimis, viel von Dick Francis und manch anderes, das ich in mehr oder weniger guter Erinnerung behalten habe. Die Baker Str. 221b habe ich wesentlich öfter via Film und Fernsehen besucht als im Buch. Maigret wurde mir durch ein paar seinerzeit als lau empfundene Verfilmungen verdorben. Und dann eben Martha Grimes mit ihrer Inspektor-Jury-Reihe. Die kamen in den 1980er Jahren heraus und gefielen mir gleich.

Ein reiches Figurentableau an den beiden Hauptschauplätzen, London und Long Piddleton, das − gelegentlich zu- oder abnehmend − in allen Romanen vorkommt und einen vertrauten Rahmen herstellt. Da sich diese Figuren über die Jahre weiterentwickeln und auch immer wieder Rückbezüge auf alte Fälle stattfinden, entsteht so ein behaglicher Mikrokosmos, in dem Morde, Ehekrisen, vertauschte Kinder und enttäuschte Vermögenserwartungen letztlich nicht weiter stören. Keine „Whodunit?“-Fälle à la Christie, bei der alle Verdächtigen nacheinander auf ihre Motivlage hin abgeklopft und hinsichtlich ihrer Gelegenheit überprüft werden, um dann im Showdown aussortiert zu werden und der oder die übrigbleibende Täter überführt wird.

Foto des Romans: nw2014

Foto des Romans: nw2014

In der zurückliegenden Woche las ich „Inspektor Jury geht übers Moor“, ein dickeres Exemplar aus dem Jahre 1989. Die hier erzählte Kriminalgeschichte wird sogar aufgelöst, am Ende ist klar, wer was warum getan hat. Für Martha Grimes nicht der Regelfall, oft bleiben die Geschichten und die Personenidentitäten bewußt in der Schwebe − das könnte der verlorene Sohn sein, jenes das Motiv der Täterin gebildet haben. Hier beobachtet Jury, der längst kein Inspektor mehr ist, sondern Superintendent − als aktives Mitglied meiner Kirche muß ich beim Lesen dieses Dienstgrades immer schmunzeln − einen Mord, der gar nicht aufgeklärt werden muß, aber dessen Ursachen eben in einer acht Jahre zurückliegenden Vorgeschichte verborgen liegen und nach und nach vor dem Leser entrollt werden.

Jury ist ein Homme à femmes, die sich, kaum daß sie seiner angesichtig werden, durch das Haar fahren und Bluse bzw. Rock zurechtstreichen. Sergeant Wiggins ist eine wandelnde Hausapotheke und Kohlekekse bilden seine Lebensgrundlage, ihr Vorgesetzter, Chief Superintenden Racer ist eine selbstgefällige unfähige Landplage. Ein beliebtes Motiv, erinnert sei an Sir John bei Edgar Wallace und an Vice-Questore Patta bei Commissario Brunetti.

Die andere Hauptfigur ist Melrose Plant, ein schwerreicher Landadliger, der auf seine Titel und damit auch seine Peerswürde verzichtet hat, lieber in seinem Anwesen die Decke studiert, einen guten Portwein trinkt und gelegentlich an der Universität (Details werden keine genannt) über Arthur Rimbaud doziert und dessen grüne Augen ihm eine starke Anziehungskraft verleihen. Obwohl er keinen Draht zu Kindern hat, muß er sich in vielen Romanen mit ihnen auseinandersetzen. Seine angeheiratete, aus den USA stammende Tante, Agatha / Lady Ardry, macht ihm das Leben schwer, wenn sie in seinem Wohnzimmer sitzt und stundenlang die von der Köchin Martha gefertigten und ihrem Mann, dem Butler Ruthven servierten Köstlichkeiten verschlingt. Da Melrose sich keine Frau nimmt, sieht sich Agatha als Erbin und ist umso empörter, wenn der Neffe dann eben doch einmal Anstalten unternimmt.

Marshall Trueblood, der schwule Antiquitätenhändler, und Vivian, die Nachbarin von Melrose, beide ebenfalls schwerreich, die nicht ganz so reiche Diane Demorney und die Krimiautorin Polly Pread (eine klare Referenz an die Mrs. Oliver von Agatha Christie) leben ebenfalls in Long Piddleton. Dort gibt es den Pub „Die Hammerschmiede“, wo alle einen guten Teil ihrer Zeit verbringen und auf den Wirt Dick Scroggs und die saufende Putzfrau Mrs. Withersby treffen.

Melrose und Jury sind in Vivian verliebt, sagen aber nichts und sie sagt auch nichts, seit Jahren ist sie mit einem venezianischen Grafen verlobt und im vorliegenden Roman steht sie vor der Abfahrt zur Hochzeit. Lady Ardry ist in Hochstimmung, Richard Jury und Melrose Plant verdrängen den Abschied immer wieder und stehen schließlich bedröppelt zum Schluß des Buches am Bahnsteig des wartenden Orient-Expreß, mit dem Vivian gen Italien fährt.

Also alles in allem eine charmante Lektüre, gut geeignet für die Sommerfrische oder ein verregnetes Herbstwochenende. Wer echte Krimispannung sucht, ist anderswo besser aufgehoben. Die Sprache ist dezent, Leichenteile, Blut und andere Körperflüssigkeiten werden sparsam eingesetzt und rauben niemandem den Schlaf. Amüsant ist die Zeitgebundenheit mancher Passagen: So kommt in diesem Buch etwa ein Walkman zum Einsatz, noch niemand hat ein Mobiltelefon.

Zwei-, dreimal im Jahr greife ich zu älterer Unterhaltungsliteratur und bin eigentlich nie enttäuscht; ich weiß, was mich erwartet − wie in einem Hotel, in das man alle paar Jahre fährt − und tauche in eine wohlige Welt des Nichtstuns ein − Easy Reading sozusagen.

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2 Antworten zu Sommerfrischenlektüre

  1. Petra Gust-Kazakos schreibt:

    Cozy Crime vom Feinsten : )

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