Verdijahr – ein Nachtrag

Ein großartiger Komponist, dieser Giuseppe Verdi, geboren am 9. oder 10. Oktober 1813 (gestorben am 27. Januar 1901). Er komponierte die Musik zu 28 Opern, die sich häufig an bedeutenden Theaterstücken orientieren. Schiller und Shakespeare sind Verdis große Inspiratoren, ihre Bühnenschöpfungen entzünden seine Phantasie – der politische Furor Schillers und das Welttheater Shakespeares bewegen ihn, den Vielleser und politisch wachen Menschen.

Seine künstlerische Entwicklung kann von den Anfängen (Oberto bis Ernani) über die Galeerenjahre (Nabucco bis Luisa Miller), den Zenit (Stiffelio und die Trias Rigoletto, Traviata, Troubadour) bis hin zum Stil der Grand Opera (Sizilianische Vesper, Simone Boccanegra, Maskenball, Forza, Don Carlo und Aida) und schließlich dem Spätwerk (Otello und Falstaff) zusammengefaßt werden. Wobei ich sagen muß, daß auch die früheren Opern und die Werke der mittleren Schaffensperiode wichtige Stücke sind und unverzichtbare Stützen des Repertoires darstellen. Verdis Kunst beginnt nicht erst mit der Aida. Ohnehin ist Belcanto nur für diejenigen ein Schimpfwort, die das mißentwickelte „Bayreuth bark“ zum Maßstab aller Dinge machen.

Foto: nw2013

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Rodolfo Cellettis große Studie über die Kunst des Belcanto zeigt, daß und wie die Romantiker und also auch Verdi die Formensprache des Belcanto – Triller, Verzierungen, Vokalisen – aufgriffen und mit neuartigen, realistischeren Gesangsmitteln ergänzten, vor allem aber unabhängig von der barocken Grammatik einsetzten. Während eine Koloratur noch bei Rossini in einem bestimmten Sinn eingesetzt wurde und es sich vor allem beim Mehrfachverwender Rossini aus dem Zusammenhang ergeben mußte, ob das durch die Noten ausgedrückte Gefühl, Trauer, Erhabenheit oder Wut bedeutete, verwendete Verdi Verzierungen auf eine neue Weise. Die Sängerinnen der Abigaille, Violetta oder Leonora  müssen ausgezierte Musik singen können, aber intendiert wird damit die realistische Darstellung von Gefühlen und Charakteren. Das führt dann auch zum fast völligen Rückgang der Koloratur bei den Männerstimmen. Umso wichtiger ist sie dann, wenn Verdi sie schreibt, so etwa im Reqiuem, in dessen „Hostias“ Bass und Tenor einen Triller singen müssen. Und die hochdramatische Mezzosopranpartie der Azucena im Troubadour verlangt ebenfalls ein beachtliches Maß an Agilität, wie das nachstehende Notenbeispiel zeigt:

Notenbeispiel aus der Partitur des Troubadour Foto: nw2013

Notenbeispiel aus der Partitur des Troubadour
Foto: nw2013

Maria Callas hat Anfang der 1950er Jahre den Belcanto-Aspekt des Troubadours zu neuem Leben erweckt, Richard Bonynge hat dann 1977 mit Pavarotti, Sutherland, Horne und Wixell eine rundum beglückende Version des Werkes vorgelegt – jedenfalls, was die Verzierungen angeht. So grandios Marilyn Horne die Azucena singt – beeindruckende Oktavsprünge, imposante Kadenzen, perfekte Triller – so wenig kann ihr Rollenportrait einer verwirrten Frau mit den Charakterisierungen der weniger perfekt singenden Fedora Barbieri oder der stählernen Fiorenza Cossotto mithalten. Verdis Koloraturen haben eine andere Funktion als diejenigen Rossinis – und die unerreichte Rossinisängerin Horne vermag diese nicht in vollem Umfang zu erfüllen.

Zurück zu Verdis Theater: der Patriot Verdi ist ein politisch interessierter Mensch, der die österreichische Fremdherrschaft ablehnt, der für Aufklärung und gesellschaftlichen Wandel eintritt. Verdi ist scharf antiklerikal und für die Freiheit. Schillers Räuber begeistern ihn ebenso wie dessen Kabale und Liebe. Viele seiner Opern, nicht nur der Nabucco mit seinem berühmten Chorstück, werden von den opernbegeisterten Italienern zu Unterlegung des Risorgimento verwendet.

Es geht ihm aber auch um das zwischenmenschliche Drama; oft stehen Vater-Tochter-Beziehungen im Mittelpunkt: Nabucco-Abigaille, Miller-Luisa, Rigoletto-Gilda, Amonasro-Aida, oder, gleichsam überkreuz, Germont père-Violetta. Nur als seine Mutter stirbt, setzt er ihr ein Denkmal und schafft die Mutter-Sohn-Konstellation von Azucena und Manrico.

Gesellschaftliche Konventionen sind ihm ein Graus. Nach dem frühen Tod seiner Frau und der beiden Kinder lebt er lange Jahre in wilder Ehe. Er versieht die Lebedame Violetta mit Würde und Größe, er geißelt den Machtanspruch der katholischen Kirche in Don Carlos und entlarvt die Selbstgerechtigkeit der Priester in Aida.

Premierenkritik Rigoletto, das Foto zeigt Eike Wilm Schulte Foto: nw2013

Premierenkritik Rigoletto, das Foto zeigt Eike Wilm Schulte
Foto: nw2013

Meine erste im Opernhaus (Staatstheater Wiesbaden) gehörte Verdi-Oper war Rigoletto in einer Inszenierung von Michael Wedekind unter der musikalischen Leitung von Hans-Werner Pintgen. Ausweislich des Programmheftes besuchte ich die Premiere am 12. Juni 1982,  in der Elaine Cormany (Gilda), Danielle Grima (Maddalena), Dieter Bundschuh (Herzog), Eike Wilm Schulte (Rigoletto) und George-Emil Crasnaru (Sparafucile) sangen. Die eingelegte, säuberlich ausgeschnittene Premierenkritik ist sehr ausführlich, analysiert Stück und Musik, widmet allen Protagonisten ihre Aufmerksamkeit und schreibt über die gelobte Inszenierung nicht mehr als über die Leistung des Sängers der Titelpartie. Hanns Herman, so der Name des Kritikers, erfüllte nicht nur eine lästige Pflicht, das merkt man noch nach über dreißig Jahren. Ich erinnere mich, daß Eike Wilm Schulte großen Eindruck auf mich machte, wie er seine Verzweiflung nach der Entführung der Tochter überspielte, und wie gebannt ich der Stretta „Si, vendetta!“ lauschte.

Victor Hugo, dessen Theaterstück Le Roi s’amuse die dramatische Vorlage für den Rigoletto bildete, war nach dem Besuch einer Vorstellung beeindruckt davon, wie Verdi im Quartett des vierten Aktes die Dramatik durch den verwobenen Gesang der vier Darsteller steigern konnte, wie es die nacheinander sprechenden Schauspieler naturgemäß nicht leisten konnten.

55 Platten und CDs mit Verdi-Opern stehen in den Regalen, jeweils sieben von Aida, Traviata und Troubadour…

Don Carlo © 2011, Barbara Aumüller

Don Carlo © 2011, Barbara Aumüller

Meine letzten Live-Erfahrungen waren im November 2013 an der Deutschen Oper Berlin zunächst Don Carlo ( Premiere 2011) und dann Otello (Premiere 2010). Beide Inszenierungen hatte ich berufsbedingt zuvor nicht sehen können. Überzeugt hat mich der Don Carlo, eingerichtet von Marco Arturo Marelli, mit starken Bildern. Auch gesanglich eindeutig der stärkere Abend.

Mein Fazit des Verdi- wie des Wagnerjahres: gute Musik braucht keine Jubiläen. Ich hoffe, daß wir noch lange eine so einzigartige Theaterlandschaft haben, die tagaus, tagein Kultur auf die Bühne bringt. Oper, Schauspiel und Ballett vor Ort erfahren zu können, ist ein unschätzbarer Reichtum, aber leider keine Selbstverständlichkeit mehr. Spartenschließungen, Orchesterzusammenlegungen oder noch mehr Zauberflöten sind die Antworten auf knappe Kassen der Träger.

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