„Tischengreut um fünfe. Treffliche Chaussee von Granitsand, es läßt sich keine vollkommnere denken. Die Gegend durch die sie geht desto schlechter, auch Granitsand, flach liegend, moorig pp. Da nunmehr gute Chaussee ist und das Land abfällt, kommt man mit unglaublicher Schnelle fort, die gegen den böhmischen Schneckengang recht absticht. Ich war halb neun in Weyda, Nachts 1 Uhr in Wernberg, halb dreie Schwarzenfeld, halb fünfe Schwandorf, halb achte Bahnholz, um zehen in Regenspurg und hatte also diese 12½ Posten oder 24½ Meile in 31 Stunden zurückgelegt.
Vor Schwandorf gegen Regenstauff zu, da es anfing Tag zu werden, bemerkte ich die Veränderung des Ackerbodens ins bessere. Den Regenfluß herauf, hatte, in uralten Zeiten, Ebbe und Flut aus der Donau gewürkt und so diese natürlichen Polder gebildet, die wir nun benutzen. Es ist dieses in der Nachbarschaft aller großen Flüsse bemerklich. Ich glaube ich habe dir schon davon gesprochen. Regenspurg liegt gar schön, die Gegend mußte eine Stadt hierher locken. Auch haben sich die Geistlichen Herren wohl possessionieret; alles Feld um die Stadt gehört ihnen, und in der Stadt steht Kirche gegen Kirche und Stift gegen Stift über.
Die Donau hat mich an den alten Mayn erinnert. Bei Franckfurt präsentiert sich Fluß und Brücke besser, hier sieht aber das gegenüberliegende Stadt am Hof recht artig aus.
Die JesuitenSchüler gaben heut ihr jährliches Schauspiel, ich besuchte es gleich, sah den Anfang des Trauerspiels und das Ende der Oper. Sie machten es nicht schlimmer als eine angehende Liebhaber Truppe. Und waren recht schön, fast zu prächtig gekleidet. Auch dies und das Ganze, wovon einmal mündlich, hat mich auch diesmal von der Jesuiten großer Klugheit aufs neue überzeugt; und es ist nicht Klugheit, wie man sie sich in Abstracto denkt, sondern es ist eine Freude an der Sache dabei, ein Mit- und Selbstgenuß, wie er aus dem Gebrauch des Lebens entspringt. Wie freut michs daß ich nun ganz in den Katholizismus hineinrücke, und ihn in seinem Umfange kennen lerne.
Wärest du nur mit mir, ich wäre den ganzen Tag gesprächisch denn die schnelle Abwechslung der Gegenstände gibt zu hundert Beobachtungen Anlaß. Oft wünsch ich mir Fritzen hin und bleibe allein.
Wie glücklich mich meine Art die Welt anzusehn macht, ist unsäglich, und was ich täglich lerne! und wie doch mir keine fast keine Existenz ein Rätsel ist. Es spricht eben alles zu mir und zeigt sich mir an. Da ich ohne diener bin, bin ich mit der ganzen Welt Freund. Jeder Bettler weist mich zurechte und ich rede mit den Leuten die mir begegnen, als wenn wir uns lange kennten. Es ist mir eine rechte Lust.“
Tagebuch der Italienischen Reise für Frau von Stein, 1786
Münchner Ausgabe Bd. 3.1, 1990, S. 11f.