Goethe am Sonnabend Nr. 5

Eine öde felsigte Gegend, Höhle im Grund, auf der einen Seite ein Granatbaum mit Früchten.

PROSERPINA Halte! halt einmal, Unselige! Vergebens irrst du in diesen rauhen Wüsten hin und her! Endlos liegen vor dir die Trauergefilde, und was du suchst, liegt immer hinter dir. Nicht vorwärts, aufwärts auch soll dieser Blick nicht steigen! Die schwarze Höhle des Tartarus verwölbt die lieben Gegenden des Himmels, in die ich sonst nach meines Ahnherrn froher Wohnung mit Liebesblick hinaufsah. Ach! Enkelin des Jupiters, wie tief bist du verloren! – Gespielinnen! als jene blumenreiche Täler für uns gesamt noch blühten, als an dem himmelklaren Strom des Alpheus wir plätschernd noch im Abendstrahle scherzten, einander Kränze wanden, und heimlich an den Jüngling dachten, dessen Haupt unser Herz sie widmete, da war uns keine Nacht zu tief zu schwatzen, keine Zeit zu lang,
um freundliche Geschichten zu wiederholen, und die Sonne riß leichter nicht aus ihrem Silberbette sich auf, als wir, voll Lust zu leben, wieder früh im Tau die Rosenfüße badeten. O Mädchen! Mädchen! die ihr, einsam nun, zerstreut an jenen Quellen schleicht, die Blumen auflest, die ich, ach! Entführte! aus meinem Schoße fallen ließ, ihr steht und seht mir nach wohin ich verschwand! – Weggerissen haben sie mich die raschen Pferde des Orkus, mit festen Armen hielt mich der unerbittliche Gott. Amor! ach Amor! floh lachend zum Olymp auf. Hast du nicht, Mutwilliger, gnug an Himmel und Erde, mußt du Flammen der Hölle durch deine Flammen vermehren! –– Heruntergerissen in diese endlosen Tiefen!
Königin hier! Königin? vor der nur Schatten sich neigen! Hoffnungslos ist ihr Schmerz, hoffnungslos der Abgeschiedenen Glück, und ich wend‘ es nicht; den ernsten Gerichten hat das Schicksal sie übergeben. Und unter ihnen wandl‘ ich umher, Göttin! Königin! Selbst Sklavin des Schicksals! – Ach, das fliehende Wasser möcht‘ ich dem Tantalus schöpfen!
mit lieblichen Früchten ihn sättigen! Armer Alter! für gereiztes Verlangen gestraft! – In Ixions Rad möcht‘ ich eingreifen und Einhalt tun seinem Schmerz! Aber was vermögen wir Götter über die ewigen Qualen! – Trostlos für mich und für sie wohn ich und schau auf der armen Danaiden Geschäftigkeit. Leer und immer leer wie sie schöpfen und fühlen! Leer und immer leer! nicht einen Tropfen Wassers zum Munde! nicht einen Tropfen Wassers in ihre Wannen! Leer und immer leer! ach! so ist’s mit dir auch, mein Herz!
Woher willst du schöpfen und wohin? – Euer ruhiges Wandeln, Selige, streicht nur vor mir vorüber, mein Weg ist nicht mit euch. In euren leichten Tänzen, in euren tiefen Hainen, in eurer lispelnden Wohnung rauscht’s nicht von Leben wie droben, schwankt nicht von Schmerz zu Lust der Seligkeit Fülle. – Ist’s auf seinen düstern Augenbraunen, im verschlossenen Blick? – Magst du ihn Gemahl nennen? und darfst du ihn anders nennen? Liebe! Liebe! Liebe! warum öffnetest du sein Herz auf einen Augenblick? Und warum nach mir? da du wußtest, es werde sich wieder auf ewig verschließen? Warum ergriff er nicht eine meiner Nymphen und setzte sie neben sich auf seinen kläglichem Thron? Warum mich, die Tochter der Ceres? – O Mutter! Mutter! Wie dich deine Gottheit verläßt im Verlust deiner Tochter! die du glücklich glaubtest, hinspielend, hintändelnd ihre Jugend!

Eröffnungsteil von: Proserpina, Ein Monodrama, zuerst veröffentlicht 1778 in „Der Teutsche Merkur“
Münchner Ausgabe Bd. 2.1, 1987, S. 161f.

Goethe am Sonnabend Nr. 4

Goethe am Sonnabend Nr. 6

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