Neulich las ich einen Hinweis auf das unlängst veröffentliche Buch von Fernand Braudel: Geschichte als Schlüssel zur Welt, das den spannenden Untertitel trägt: Vorlesungen in deutscher Kriegsgefangenschaft 1941.
Als ich jetzt bei einem Hamburgaufenthalt die wunderbare Buchhandlung Felix Jud besuchte, stand das Buch auch gleich bei den Neuerscheinungen. Daß ich es sogleich kaufte, dürfte niemanden überraschen. Und weil ich sehr angetan bin, teile ich gleich einmal meine ersten Eindrücke mit euch:
Das Buch kommt handlich in einem schönen blauen Leineneinband mit schönem Papier und lesefreundlichem Satz daher. Es besteht aus den titelgebenden Vorlesungen, einem autobiographischen Essay Braudels, der 1972 verfaßt wurde und einem Nachwort des Herausgebers Peter Schöttler.
Der Historiker Braudel (1902-1985) geriet als Leutnant der französischen Armee 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Während fünf Jahren in Mainz und Lübeck verfaßte er „La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’époque de Philipp II“, das 1949 erstmals erschien und als Braudels Thèse de doctorat d’État von der Sorbonne akzeptiert wurde.
Schöttler schildert kurz die Entstehungsbedingungen dieses monumentalen Werks. Braudel habe davon profitiert, daß die Nationalsozialisten gegenüber den Angehörigen der französischen Armee, auch mit Rücksicht auf das Vichy-Regime, die Vorschriften zur Behandlung von Kriegsgefangen beachteten. Hiervon profitierten erstaunlicherweise auch jüdische Offiziere. Als Offizier mußte Braudel nicht arbeiten und hatte ausreichend Zeit.
Erstaunlich fand ich, daß in Mainz und Lübeck, aber auch in anderen Lagern Centres universitaires eingerichtet wurden. An diesen Lageruniversitäten wurde das durch den Krieg unterbrochene Studium zunächst provisorisch fortgesetzt, dann gab es aber auch Vorbereitungen auf Prüfungen wie die Licence und auf Wettbewerbe, um nach dem Ende der Gefangenschaft wieder in das zivile Universitätsleben einsteigen zu können.
Im Laufe der Zeit konstituierten sich die Lageruniversitäten offiziell und organisierten umfangreiche Bibliotheken. Als Braudel in Mainz zum Rektor der Lageruniversität gewählt worden war, sprach ihn die deutsche Verwaltung mit ‚Magnifizenz‘ an. Er durfte Bücher und Zeitschriften aus der gut ausgestatteten Mainzer Stadtbibliothek ‚fernleihen‘ und von dem weitergezahlten Sold auch Bücher kaufen.
Die Niederschrift erfolgte in Schulhefte, die es im Lager ebenfalls zu kaufen gab und die Braudel nach Paris schickte. Nach Paris zurückgekehrt, erstellte er daraus die Fassung, die er 1947 einreichte und die dann zwei Jahre später erstmals im Druck erschien.
Wenn Braudel aber nicht an seinem Buch schrieb, hielt er Vorlesungen, die er 1944 niederzuschreiben begann, dann aber wieder zur Seite legte, um Teile seiner Thèse erneut zu überarbeiten. Die ‚Geschichte als Schlüssel zur Welt‘ ist also Fragment geblieben.
Soweit meine ersten Eindrücke, nachdem ich in dem Buch geblättert und etwas darin herumgestöbert habe. Ich freue mich auf die Lektüre – und habe schon wieder etwas gelernt, bevor es richtig beginnt!
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