Liviu Rebreanu, Der Wald der Gehenkten, 1922, Neuübersetzung 2018 (aus dem Rumänischen von Georg Aescht), 341 Seiten plus 8 Seiten Nachwort.

Der im Jahre 1885 geborene Autor verarbeitet in diesem Buch das Schicksal seines Bruders Emil, der 1917 wegen Desertion und Spionage hingerichtet wurde. Der Journalist Rebreanu saß politisch zwischen allen Stühlen und war am Ende zwar froh, daß die Mittelmächte den Krieg verloren hatten, hatte es aber zunächst schwer, sich in Rumänien nach 1919 beruflich zu etablieren.
Zum Inhalt
Das Buch setzt ein mit einer schlecht vorbereiteten Hinrichtung. Es schließt sich an ein Rückblick in die Familiengeschichte der Hauptperson, in seine Kindheit und Jugend. Als Rumäne ist Apostol Bologa nach Budapest zum Studium gegangen und hat sich dort, in der Hauptstadt, gewissermaßen von seinen Ursprüngen entfernt. Um seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen und seine mögliche Verlobte zu beeindrucken, meldet er sich als Soldat.
Wir begleiten Apostel an die Front und in der Etappe und erleben auf diese Weise, was der Krieg mit Männern macht. Angst und Heimweh sind wichtige Themen, die alle Soldaten beschäftigen, auch wenn sie es sich nicht durchgängig eingestehen. Bologa trägt sich mit dem Gedanken zum Feind überzulaufen, um nicht in Rumänien kämpfen zu müssen, wohin sein Regiment abkommandiert wird. Da er bei einem Artillerieangriff der Russen verletzt wird, kommt er ins Spital, und entgeht so vorerst der Truppenverlegung.
Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wird er in die Etappe versetzt, damit er sich schonen kann. Der mehrfach wegen Tapferkeit ausgezeichnete Bologa genießt durchaus das Wohlwollen seine Vorgesetzten. An seinem neuen Dienstort lernt er eine junge Bauerstochter kennen, in die er sich verliebt und mit der er sich schließlich verlobt.
Als er dazu abkommandiert wird, an einem Kriegsgericht teilzunehmen, versucht er, den schon einmal gefaßten Plan zu verwirklichen, und will zum Feind überlaufen. Dabei wird er von einer Patrouille abgefangen und letztendlich selbst vor ein Kriegsgericht gestellt.
Das Buch endet, wie es begonnen hat: mit einer Hinrichtung. Nur ist es dieses Mal Bologa, der auf den Schemel steigt.
Zum Stil
Der auktoriale Erzähler liefert detaillierte Beschreibungen der Landschaft, der Kleidung, etc. – verwendet aber auch recht häufig stereotype Formulierungen. Die Dialoge sind naturalistisch, nie sonderlich elaboriert. Oft wird nur das Nötigste kommuniziert oder das Eigentliche kann durch die Floskeln nicht ausgedrückt werden. Rebreanu verschränkt Dialoge zwischen den Figuren oft mit der Wiedergabe ihrer Gedanken und Gefühle, was den Eindruck des Unausgesprochenbleibens verstärkt.
Ihm gelingen aber auch sprachmächtige Formulierungen:
Sogleich fielen aber aus allen Hinterhalten des Gehirns die Gedanken über ihn her wie gierige Vögel. (S. 27)
Kaum hatte er den Kopf auf das Kissen gelegt, beschlich ihn das Gefühl, er sei gelähmt. Dafür preschte sein Gehirn los, in wilder Jagd. Tausende Gedankensplitter blitzten in ein und derselben Sekunde auf, prallten gegeneinander, vermischte und verketteten sich. Und mitten unter ihnen summte wie eine rote Hummel mal lauter, mal säuselnd und in stets wechselnden Formen die Zwangsvorstellung, dass es in dieser Nacht ohne Wenn und Aber ein Ende nehmen musste. (S. 159)
Recht kitschig freilich gerät die Schilderung, wie er sein Heimatdorf empfindet, als er dorthin nach dem Lazarettaufenthalt geschickt wird (S. 171f., 201). Die Heimeligkeit, das Gefühl des Aufgehobenseins ist freilich falsch; Konflikte lauern auch hier. Bologa löst seine Verlobung.
Mein Eindruck
Bologa ist ein Suchender, aber die Umstände, die ihn dazu machen, verhindern zugleich, daß er findet, wonach er sucht. Der Glaube seiner Kindheit und Jugend, den er längst verloren geglaubt hatte, ist schließlich alles, was ihm bleibt. Er hat Angst vor Autoritäten, ist generell verunsichert und zweifelt zunehmend an der Sinnhaftigkeit des Kriegsgeschehens. Bologa hadert mit seinen sexuellen Begierden, denkt über die Bedeutung von Familie und Blutsbanden nach und unterhält sich außerdem mit Kameraden über die Pflichten von Soldaten. Dabei spielt die Aufrechterhaltung der Kampfmoral eine wichtige Rolle, verbunden mit der Frage, wie dies durchzusetzen ist. Die Militärgerichtsbarkeit, an der Bologa eingangs des Buches selbst – und damals noch mit Stolz – mitgewirkt hatte, spielt immer wieder eine Rolle. Dabei geht es auch um die abschreckende Wirkung des Hängens.
Wie das Imperium in der Peripherie wahrgenommen wird, wie das Zusammenleben im Vielvölkerstaat vor sich geht, welche Perspektiven der Staat seinen Bürgern bietet – das Buch spricht das zwar an, aber nur indirekt und für meinen Geschmack zu kurz.
Auch erzählerisch und stilistisch vermag mich Rebreanu nicht vollständig zu überzeugen. Das Buch schwankt zwischen Naturalismus und Expressionismus. Für „eines der wichtigsten europäischen Erzählwerke, die der Große Krieg […] ausgelöst hat“ – so das Nachwort – mag ich das Buch nach der ersten Lektüre nicht halten.