Nora oder Ein Puppenheim, 1879, Uraufführung 1879 in Kopenhagen, Übertragung ins Deutsche von Marie von Borch, 1891
Hedda Gabler, 1890, Uraufführung 1891 in München, Übertragung in Deutsche von Emma Klingenfeld, 1891
Beide Werke sind während des sogenannten freiwilligen Exils von Henrik Ibsen (1828-1906) entstanden. Ibsen war mit seinen bisherigen Erfolgen nicht zufrieden und hielt auch die politische Situation in seiner Heimat für schwierig. Er verbrachte die Zeit von 1864 bis 1891 in Italien und Deutschland.
Die zahlreichen während dieser Zeit entstandenen Bühnenwerke sind stilistisch und inhaltlich vielfältig gestaltet. Sie werden als naturalistische Gesellschaftsdramen bezeichnet, die die Beziehungen der Figuren zueinander peu à peu aufdecken und psychologisch analysieren. Häufig wird eine schwere Verfehlung in der Vergangenheit offenbart und zum Wendepunkt des Geschehens, nach dem ein Weiter so! nicht mehr möglich erscheint.
Nora oder Ein Puppenheim
In einer Krisensituation denkt Noras Ehemann nur an sich und sein Bild in der Gesellschaft. Als fünf Minuten später die Krise vorbei ist, glaubt er, so weitermachen zu können wie bisher. Doch Nora hat erkannt, was sie ihm tatsächlich bedeutet: nichts.
Deshalb setzt sie ihrem Mann auseinander, daß sie ihn jetzt gleich verlassen wird, um sich über sich selbst klar zu werden und um endlich selbstbestimmt zu leben.
Die Häuslichkeit, den Mann und die Kinder zu verlassen! Bedenke: was werden die Leute sagen?
Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Ich weiß nur, daß es für mich notwendig ist.
O, das ist empörend. So entziehst du dich deinen heiligsten Pflichten?
Was verstehst du unter meinen heiligsten Pflichten?
Das muß ich dir erst sagen! Sind es nicht die Pflichten gegen deinen Mann und gegen deine Kinder?
Ich habe andere Pflichten, die ebenso heilig sind.
Das hast du nicht. Was für Pflichten könnten das wohl sein?
Die Pflichten gegen mich selbst.
Vor allem bist du Gattin und Mutter.
Das glaub ich nicht mehr. Ich glaube, daß ich vor allen Dingen Mensch bin, so gut wie du, – oder vielmehr, ich will versuchen, es zu werden. (Dritter Akt)
Völlig perplex bleibt Helmer zurück.
Häuslichkeit und Eheleben werden in ziemlicher Betulichkeit geschildert, Helmer fällt durch seine kleinkarierten Ansichten auf.
Hedda Gabler
Das jüngere der beiden Bücher ist nach meinem Empfinden auch klar moderner. Die Ausdrucksweise ist natürlich höflich und gewählt, aber es wird doch temporeicher agiert. Hedda Gabler ist bereits eine nach den Maßstäben ihrer Zeit eigenständige und emanzipierte Frau. Sie hat einen leicht trotteligen Langweiler geheiratet, um sich durch den Ehestand zu stabilisieren. Doch die Vernunftehe hat keine gesunde Basis, weder im persönlichen Miteinander noch hinsichtlich der erwarteten ökonomischen Grundlagen. Ein verflossener Liebhaber sorgt für Unruhe, eine berufliche Konkurrenzsituation tut dies auch, dazu kommen Erpressungsversuche durch einen Hausfreund, der sich sexuelle Abenteuer erhofft.
Das Böse bricht sich Bahn, Hedda Gabler tut selbst Unrecht und verleitet ihren früheren Liebhaber zur Selbsttötung. Kaltblütige Ästhetik und ihr Wille zu Destruktion führen sie ins Abseits und so ist auch ihre Selbsttötung nur konsequent.
Resümee
Henrik Ibsens Dramen erlebten in der Spielzeit 2017/2018 im deutschsprachigen Raum 30 Inszenierungen und insgesamt 118.155 Zuschauer. Damit liegt er noch in den Top Ten der meistgespielten Autoren.
Die beiden, im Fischer Klassik Taschenbuch zusammengefaßten Dramen haben sich auf den Spielplänen gehalten, sie sind bei Regie, Schauspielerinnen und Publikum gleichermaßen beliebt.
Die rechtliche Gleichstellung, um deren Umsetzung bereits zu Ibsens Lebzeiten gerungen wurde, hat sich allzu lange hingezogen, so daß die faktische Gleichbehandlung noch immer auf Widerstände stößt und in mühsamer Überzeugungsarbeit oder unter Zuhilfenahme der Gerichte erreicht werden muß. Aktuell haben zum Beispiel 105 von 160 börsennotierten Unternehmen keine Frau im Vorstand, 53 der Aufsichtsräte haben gar das Ziel „null Frauen“ im Vorstand formuliert.
Schon immer an Ibsen interessiert, aber noch nie die Zeit gehabt habend, kommt mir diese Erinnerung gerade zur rechten Zeit vor diesem Winter, den ich in Norwegen verbringen werde. Einen Monat passe ich in Nesoddtangen auf eine Katze und ein Häuschen auf, da wird sich viel Zeit zum Lesen ergeben, so die Hoffnung.