Das Buch kommt als Coming-of-age-Geschichte eines jungen Mannes daher, der aus dem Großen Krieg zurückgekehrt ist und sie dann aufschreibt: Emil Sinclair. Der beim Erscheinen des Buches bereits 42-jährige Hesse, ein vehementer Gegner des Wilhelminismus insgesamt und des Krieges vor allem, hatte durch Herkunft und Lebenssituation ein lockereres Verhältnis zum Deutschen Reich und lebte seit 1919 dauerhaft in der Schweiz, wo er 1962 starb. Da er aufgrund der an der deutschen Politik und Gesellschaft geäußerten Kritik sehr umstritten war und sich heftigen Angriffen der nationalen Rechten ausgesetzt sah, brachte er das Buch unter seinem Pseudonym Emil Sinclair heraus.
Die Wirkung des Textes auf die Zeitgenossen – sowohl des vermeintlichen Sinclair als auch des echten Hesse – war groß. Thomas Mann sprach rückblickend von der „elektrisierende[n] Wirkung [dieser] Dichtung, die mit unheimlicher Genauigkeit den Nerv der Zeit traf […]“ und sah bereits 1919, wie das Tagebuch zeigt, die Parallelen zum eigenen „Zauberberg“. Vor allem aber wollte er wissen, wer Emil Sinclair sei, und schrieb an seinen Verleger:
„Das ist eine schöne, kluge, ernste, bedeutende Arbeit. Ich las sie mit größter Bewegung und Freude. Auf so eine bedeutende Art hat noch keiner eine Erzählung in den Krieg münden lassen.“
Hesses „Demian“ und sein „Kurgast“ sowie Manns „Zauberberg“ brachten die beiden Autoren dann näher zusammen; ihre Beziehung intensivierte sich weiter, als auch Mann nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten schließlich ins Exil ging.
Das Buch ist aus der Rückschau geschrieben, Sinclair setzt seine Lebensbeschreibung im zehnten Lebensjahr ein und versucht, die jeweilige Perspektive als Kind, als Heranwachsender, als Student oder später Soldat zu wahren, gibt aber zu, daß es oft zu Vermischungen mit später Erfahrenem, Hinzugelernten kommt.
Früh macht der Knabe die Erfahrung zweier Welten; der reinen, hehren bei den Eltern und Schwestern, und der rohen, derben draußen, bei den Leuten. Selbst will er kosten von den Verlockungen der unteren Welt, wird auch früh hineingezogen, kämpft sich aber auch immer wieder zurück nach oben. Doch dort enttäuscht ihn die Leere, der Zugang bleibt ihm verwehrt und er fühlt sich noch heftiger zurückgeworfen. So geht es durch die Jahre und Entwicklungsstationen hin, mit wenig Höhen und vielen Tiefen, mit scheiternden Beziehungen zu Frauen und scheiternden Freundschaften zu Männern, bei denen eine homoerotische Grundierung mitschwingt und natürlich auch nicht zum Gelingen beiträgt.
Einzig Demian, der ältere, wissende, undefinierbare, ungreifbare Andere, vermittelt dem Leben Sinclairs eine gewisse Kontinuität und gibt ihm vage eine Richtung vor: Finde Dich selbst! Demian hinterfragt alles, Lehrer- und Pfarrerautorität, selbst die Bibel. Mit seinem plötzlichen Erscheinen und seinen ebenso unvermittelten Abgängen erscheint er wie ein Widerhall des Ahasvermotivs.
Als Sinclair verwundet im Lazarett liegt, träumt er sich Demian zur Seite, der ihm rät und am Ende einen Kuß gibt.
„Aber wenn ich manchmal den Schlüssel finde und ganz in mich selbst hinuntersteige, da wo im dunklen Spiegel die Schicksalsbilder schlummern, dann brauche ich mich nur über den schwarzen Spiegel zu neigen und sehe mein eigenes Bild, das nun ganz Ihm gleicht, Ihm, meinem Freund und Führer.“
Von Hagen Schulze stammt die Wendung, die Republik von Weimar sei nichts ohne die Vergangenheit. Das gilt evidentermaßen für die frühen Jahre und ihre Hervorbringungen. Der „Demian“ schöpft aus den Erfahrungen des 1877 geborenen Hesse in der Kaiserzeit, spiegelt wie Heinrich Manns „Der Untertan“ die Ödnis des Borrussismus und läßt erahnen, wie sich die Generation der Frontsoldaten in den nächsten zwanzig Jahren verhalten wird.
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Damals, ich war Anfang 20, da gehörte für mich dieses Lied zu diesem Buch. Und das gehört es eigentlich noch heute. Vermutlich für immer. https://www.youtube.com/watch?v=aIsvNVJ0HW0