Zwecks Abhaltung eines Ganztagesseminars war ich nach Hamburg gefahren, hatte die kleine Reise aber mit etwas Freizeit vor Ort verbunden. Diese nutzte ich für das Wiedertreffen mit zwei Freunden, die ich schon länger nicht mehr gesehen hatte, und für die Überführung einer weiteren Twitterbekanntschaft in das sogenannte „Real life“. Außerdem genoß ich das Flair Hamburgs (#welovehh) und besuchte die Hamburger Kunsthalle, die mit interessanten Sonderausstellungen lockte.
Prominent plakatiert war „Feuerbachs Musen – Lagerfelds Models“, eine Schau, die den Schönheitskult zum Gegenstand hat. Der von 1829 bis 1880 lebende Anselm Feuerbach schuf zwischen 1860 und 1865 eine Reihe von Porträts von Anna Risi, genannt Nanna. Man sieht eine Frau mit griechischem Profil und schwerem, dunklem Haar, die freilich immer überlebensgroß, auch in üppig erblühter Weiblichkeit präsentiert wird. Nachdem Nanna Feuerbach verlassen hatte, suchte und fand er in Lucia Brunacci eine Nachfolgerin als Muse und Modell. Sie bereicherte sein Œuvre, indem sie ihn zur Darstellung mythologischer Themen inspirierte.
Ein solches mythologisches Thema bearbeitet auch Karl Lagerfeld, der aus Hamburg stammende Tausendsassa der internationalen Modewelt. Lagerfeld, der Bücher liebt und sammelt, ist seit vielen Jahren auch als Fotograf erfolgreich. Die Kataloge des Hauses Chanel sind – unabhängig davon, ob einem die Kleider und/oder Models gefallen – immer einen zweiten Blick wert und von hohem ästhetischen Reiz.
Lagerfeld steuert den Bilderzyklus „Moderne Mythologie“ bei, der im Jahre 2013 für die Ausstellung entstand. Erzählt wird die Liebesgeschichte zwischen Daphnis und Chloe, zwei Findelkindern, die von unterschiedlichen Hirtenfamilien aufgezogen werden und sich dann in der Adoleszenz – er ziegen-, sie schafehütend – begegnen und ineinander verlieben. Nach allerlei Fährnissen werden sie dann glücklich vereint und leben glücklich bis an ihr Ende. Sonne, südliche Natur und Körperlichkeit werden von Lagerfeld eindringlich und dezent gleichermaßen präsentiert.
Beide Teile der Ausstellung sind durchaus sehenswert, das Zusammenbinden hat mich nicht überzeugt – es schadet nicht, ist aber auch nicht wirklich zwingend.
Zu sehen ist auch die Ausstellung „Lichtwark Revisited – Künstler sehen Hamburg“. Man erinnert an das Bemühen des ersten Direktors der Kunsthalle, einheimische Künstler zu fördern und eine spezifisch hamburgische Kultur sichtbar zu machen. Eindrucksvolle Porträts wichtiger Persönlichkeiten der Hansestadt entstehen auf diese Weise ebenso wie eine hamburgische Spielart des Impressionismus, die eine spezifische Farbigkeit auszeichnet. Das alles ist interessant und zum Teil wirklich ansehnlich, aber nun auch nichts, was mich in Begeisterungsstürme ausbrechen ließ. Hierzu tragen auch die modernen Ergänzungen kaum bei, die nun nicht von Lichtwark in Auftrag gegeben wurden, sondern Hamburg auf die eine oder andere Weise mehr oder weniger in den Blick nehmen. Ein altes Boot, das sich ächzend kaum wahrnehmbar in einer schaukelähnlichen Konstruktion bewegt, Dias, die zu Geklimper rotierend auf einen runden Vorhang projiziert werden, eine Darstellung des Tidenhubs in konzentrischen Kreisen.
Also rasch weiter zu „Ç’est la vie“, einer Ausstellung, die Paris aus den Augen von Honoré Daumier und Henri de Toulouse-Lautrec präsentiert. Daumier (1808-1879) ist bekannt als der genialische Karikaturist des Bourgeois, Toulouse-Lautrec (1864-1901) wird gesehen als der Illustrator des Fin de Siècle, einer Welt von Theaterbühnen, Bordellen und Nachtlokalen. Die Zusammenführung erlaubt es, überraschende Ähnlichkeiten bei Sujets und Sichtweisen zu entdecken, zeigt aber auch den häufig anderen Zugriff und den zeitlichen Abstand beider Künstler. Unverkennbar pariserisch und französisch sind nicht nur die ikonographisch gewordenen Plakate, alle gezeigten Werke haben dieses „Je ne sais quoi“.
In der Summe ein lohnender Besuch, bei dem ich viel neues und mir unbekanntes sehen konnte, es aber auch möglich war, Bekanntes wiederzusehen und in neue Zusammenhängen einzuordnen.