Goethe am Sonnabend Nr. 2

„Nun erhub sich die Trauer der Helden, aber am meisten Armins berstender Seufzer. Er dacht an den Tod seines Sohns; er fiel in den Tagen seiner Jugend. Carmor saß nächst an dem Helden, der Führer des schallenden Galmal. Warum birstet der Seufzer von Armin, sagt er? Ist hier eine Ursach zum Jammer. Der Gesang kömmt mit seiner Musik, die Seele zu schmelzen, und zu vergnügen. Er ist wie der sanfte Nebel, der von einem Teiche heraufsteigt, und über das schweigende Tal zieht; die grünen Blumen füllen sich mit Tau, aber die Sonne kehrt zurück in ihrer Stärke, und der Nebel ist weg. Warum bist du so trüb, o Armin, Führer des seeumgebenen Gorma.

Trüb! das bin ich fürwahr: und nicht gering die Ursach meines Jammers. Carmor, du hast keinen Sohn verloren; du hast keine Tochter verloren in ihrer Schönheit. Colgar der Tapfere lebt; und Annira die schönste der Mägden. Die Zweige deines Geschlechts blühen, o Carmor! Aber Armin ist der letzte seines Stamms. Dunkel ist dein Bett o Daura! und tief dein Schlaf in dem Grabe. Wann wirst du erwachen mit deinem Gesang mit deiner Stimme der Lieder. Auf ihr Winde des Herbsts, auf; stürmt über die finstere Heide! Ihr Ströme der Berge, brüllt! heult ihr Stürme, in dem Gipfel der Eiche! wandele durch zerrissene Wolken, o Mond! Zeige manchmal dein blasses Gesicht! Bring vor meine Seele jene schröckliche Nacht, da alle meine Kinder fielen; Arindal der mächtige fiel, Daura die liebe dahinsank. Daura meine Tochter du warst schön; schön wie der Mond auf den Hügeln von Fura; weiß wie der gefallene Schnee; süß wie die atmende  Luft. Arindal dein Bogen war stark, dein Speer war schnell in dem Feld. Dein Blick war wie Nebel über der Welle, dein Schild eine rote Wolke im Sturm. Armar berühmt im Kriege, kam und sucht Dauras Liebe; er ward nicht lang verschmäht; schön war die Hoffnung ihrer Freunde.“

Ossian-Übersetzungen: Die Gesänge von Selma (Fassung von 1771 für Friederike Brion)
Münchner Ausgabe 1985, Bd. 1.1, S. 192f.

 

Goethe am Sonnabend Nr. 1

Goethe am Sonnabend Nr. 3

Dieser Beitrag wurde unter Bücher, Literatur abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..