Ein Flüchtlingsschicksal: Joseph Schmidt

Lukas Hartmann, Der Sänger, Roman, 2019, Diogenes, 288 Seiten.

Lukas Hartmann, Der Sänger | Foto: nw2021

Der Roman schildert die letzte Etappe des Lebens von Joseph Schmidt, einem seinerzeit berühmten Sänger, der als Jude von den Nazis verfolgt wurde. Bereits erkrankt flieht er aus Vichy-Frankreich in die Schweiz und verstirbt dort nach kurzer Zeit. 

Diese knappe Geschichte wäre allzuschnell erzählt, weshalb Hartmann Ergänzungen und Ausschmückungen hinzufügt. Letztere finden durch Schmidts inneren Monolog Eingang in den Text; der Sänger erinnert sich an seine Jugend, seine Familie, seine Karriere, die vielen Frauen, die er verführte und von denen er sich umsorgen ließ. Die Sprache, in der dies geschieht, ist in ihren besten Momenten elegisch – darin an das Timbre des Gesangs von Joseph Schmidt erinnernd –, mitunter aber auch leider recht seicht. Kraftvoller gestaltet sind die Szenen mit anderen Mithäftlingen oder Ärzten. Diese sind, wie natürlich auch das Wachpersonal, mannhafter und stärker gezeichnet, zupackend, mit Überlebenswillen, aber auch solidarisch. 

„Sperber, heiße ich,“ sagte er „Manès Sperber. Den Namen kennen Sie vielleicht.“
Schmidt schüttelte den Kopf.
„Schriftsteller, Publizist.“ Er nickte dem Gegenüber brüderlich zu. „Und Sie sind, wenn ich mich nicht täusche, der Sänger Joseph Schmidt. Auf der Flucht vor den Barbaren, wie alle hier. Ja,“ fuhr er fort, als er Schmidts Erstaunen bemerkte. „Ihr Name hat sich schon herumgesprochen. Hier drin befinden sich, im Namen der Gleichmacherei, einnige Berühmtheiten, fast alles Juden. Aber sagen wir uns Du, wir sind Schicksalsgenossen.“ (S. 122)

Schmidts Krankheit und Schwäche erklären zwar seinen raschen Tod, weisen ihm aber auch die Opferrolle zu. Er verhält sich sehr schicksalsergeben, erscheint als „schwacher Mann“.

Ergänzend treten – kursiv gesetzte – Passagen hinzu, in denen ein mit Flüchtlingsfragen befaßter Beamter sein Handeln reflektiert und in denen zwei junge Frauen, die in der Nähe der Internierungslagers leben und für den Sänger schwärmen, ihre Bemühungen um eine Begegnung sowie ihre Erinnerungen Jahrzehnte später schildern. Beides verleiht dem Roman zwar etwas mehr Tiefe. Gerade aber die Passagen mit dem Beamten und zur offiziellen Flüchtlingspolitik sind unter der erzählerischen Oberfläche leider doch nur holzschnittartig ausgefallen.

Insgesamt erschien mir die Erzählung etwas gefühlig, gelegentlich redundant und trotzdem ziemlich kurz. In einem Satz: Ich hatte mehr erwartet.

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