Benjamin Myers, Offene See, Roman, 2019, dt. 2020 (aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann), 268 Seiten.

Ein alter Mann erinnert sich an die Zeit, als er sechzehn Jahre jung war, und kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Auszeit nimmt, zwischen Schule und Eintritt in den Beruf. Er wandert durch England und das Meer ist sein Ziel. Er schläft im Zelt und auch mal im Heu, er bietet seine Arbeitskraft an für eine warme Mahlzeit; seine Haare wachsen, und die körperliche Arbeit verändert seine Gestalt.
Eines Tages, kurz bevor Robert das Meer erreicht, trifft er auf Dulcie Piper, die älter und größer ist, als er. In Haus und Garten, wo sie mit einem Schäferhund lebt, gibt es viel zu tun, und so bleibt er, um sich nützlich zu machen. Tatsächlich leistet er ihr Gesellschaft, ist Gesprächspartner und Zuhörer.
Dulcie weckt Roberts Interesse für Bücher, Kunst, Geschichte und Politik, sie erklärt ihm vieles und regt ihm zum Nachdenken an. Außerdem konfrontiert sie ihn mit Speisen und Getränken, die er noch nicht oder jedenfalls so nicht kennt. Sie freut sich über einen Gesprächspartner und er freut sich, ernst genommen zu werden.
Das Leben ist lang, wenn du jung bist, und kurz, wenn du alt bist, aber immer unsicher. (S. 42)
Die Geschichte, die einen interessanten Verlauf nimmt, gut ausgeht und aus Robert Applayard einen bekannten Schriftsteller werden läßt, ist schön erzählt. Es gibt wunderbare Naturschilderungen in diesem Buch, aber auch Stimmungen und Gefühle werden sehr gut dargestellt. Gerade das Staunen kommt oft vor und gelingt Myers überzeugend.
Das Vergehen der Zeit, die Beständigkeit von Erinnerungen, Gewißheit und Einbildung, Freude und Schmerz – verschiedene Gefühle finden ihren Platz in diesem Text, der gänzlich unaufgeregt bleibt, der anrührt und nachdenklich macht.
Es ist ein schönes, ein lesenswertes Buch – eines, das bleibt.
Das macht Kust darauf, selbst eine wandernde Auszeit zu nehmen – auch wenn man nicht mehr ganz 16 ist.
„Lust“, meinte ich natürlich.
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