„Das Lied ist der Gesang an sich in kleineren Maßen,“ so beginnt eine Passage über das Lied in dem wunderbaren Buch »Du und die Musik« von Friedrich Herzfeld. Diese Einführung für alle Musikfreunde, so der Untertitel, ist ein ebenso lehrreiches wie begeisterndes Buch. Herzfeld erläutert im weiteren Verlauf kurz die Liedformen, geht dann auf die genialische Schaffenskraft Schuberts ein, der als Siebzehnjähriger »Gretchen am Spinnrad« vertonte und ein Jahr darauf den »Erlkönig« folgen ließ, und schildert die abweichenden Auffassungen von Goethe und Schubert. Der Dichter hielt am strengen Strophenschema fest und sah in Zelters Vertonungen die seinen Gedichten angemessene Umsetzung, während Schubert die Strophenform zugunsten des durchkomponierten Liedes aufgab, um den dichterischen Gedanken frei aufnehmen zu können.
Auch Robert Schumann war – unter anderem – ein bedeutender Liedkomponist: „In einem Schub begnadeten Schaffens entstehen die 140 Lieder Robert Schumanns. Sie waren Frucht der ersten glücklichen Ehezeit,“ so Herzfeld. Das Programmheft des heutigen Abends datiert einen Großteil der Lieder hingegen in die Zeit unmittelbar vor der Eheschließung, als sich das gute Ende bereits abzeichnete.
Ian Bostridge (Tenor) und Lars Vogt (Klavier) bestritten den heutigen Liederabend im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie. Auf dem Programm Schumanns Liederkreis op. 35 nach zwölf Gedichten von Justines Kerner, Sechs Lieder von Charles Ives und Neun Lieder und Gesänge op. 32 von Johannes Brahms. Dazu gab es noch einige Zugaben, zum Schluß »Es war, als hätt‘ der Himmel die Erde still geküßt…«.
Bostridge ist auch mit Anfang Fünfzig noch spindeldürr, die resonanzarme Stimme nimmt die charakteristischen Wechsel von Sprödigkeit über Süße bis hin zu einem gelegentlichen Klirren vor. Der „kunstvoll-manierierte Klang“ (Jürgen Kesting) entfaltet seinen Reiz, doch ich kann nicht umhin, mir manche Phrase aus der Kehle Fritz Wunderlichs mit einer ganz anderen Sinnlichkeit vorzustellen.
Sympathisch, wie er während einer Zugabe den Text vergißt, um den Flügel läuft und einen Blick in die Noten des Pianisten wirft. Vogt kommentiert trocken: „Das gibt mir Gelegenheit, die schöne Einleitung noch einmal zu spielen.“
Ein lohnender, nicht alltäglicher Abend.